Kommentar: Schwarzer Freitag in Cupertino

tl, den 12. Juli 2008
iPhone 3G
iPhone 3G, Bild: Apple

Nun ist es vollbracht! Alle von Steve Jobs vollmundig angekündigten Soft- und Hardware-Versprechen wurden gestern eingelöst. Doch es lief alles nicht so glatt, wie es sich die Nutzer vorgestellt haben. Der gestrige Tag mutierte schon in den Morgenstunden zum großen Desaster.

Das Chaos setzte sich in den darauffolgenden Stunden weiter fort und sorgte nicht nur in Deutschland für Wut und Frust in der Apple-Gemeinde. Wir haben versucht die Ereignisse des gestrigen Tages zusammenzufassen.

Schwierigkeiten beim Start des iPhone 3G

Gestern brachte Apple eine neue Generation des iPhones in den Handel. Doch leider kamen nur wenige potentielle Käufer in den Genuss des neuen Smartphones. Am Morgen des 11. Juli sah es vor den Geschäften des magentafarbenen Riesen noch recht entspannt aus. Es gab keine Kampierer und auch keine kilometerlangen Schlangen wie noch zur Veröffentlichung des ersten iPhones in den USA. Eher fand man verhaltenes Warten vor den T-Punkten. Kaum eine Warteschlange war länger als 15-20 Personen. Davon wollten nicht mal alle ein Apple-Smartphone, sondern nur normale Festnetz-Problemchen klären.

Um so größer war später die Enttäuschung, als die Mitarbeiter des Mobilfunkanbieters (teilweise mit Sekt bewaffnet) schon den ersten Kunden eine Absage erteilen mussten. Apple lieferte zu wenig Geräte. Die erhielten zuvorderst auch noch Vorbesteller. Vielerorts gingen Bestandskunden komplett leer aus. Die Telekom wollte primär Neuverträge abschließen. Deutschlandweit war das iPhone 3G schon wenige Minuten nach Ladenöffnung ausverkauft.

15.000 iPhones für ganz Deutschland

Die später von der Telekom gemeldeten Abverkäufe von 15.000 iPhones bestätigten die Tatsache, das pro Verkaufsstelle (insgesamt 1.800, davon 800 Telekom-Filialen) nur etwa 5-10 Geräte verfügbar hatten. Einige Reseller erhielten ihre Lieferung zudem erst in den Nachmittagsstunden. Vielerorts wurde nur ein einziges Gerät geliefert.

Auch der beauftragte Lieferant für die Onlinebestellungen, DirektExpress, versagte teilweise. Viele Kunden wurden telefonisch kontaktiert und um einem Liefertermin am heutigen Samstag gebeten.

Frust gab es aber auch im Vereinigten Königreich. Dort wurde gestern morgen nicht ein einziges iPhone verkauft. Softwareprobleme bei der Aktivierung zerstörten für viele Engländer den Traum vom neuen iPhone. In den USA warteten die Kunden stundenlang auf die Aktivierung bei AT&T. Der Grund: Serverprobleme bei der Aktivierung. Einige Debitel-Shops (jetzt _dug) konnten die Telefone nicht aktivieren, da der Reseller die aktuelle iTunes-Version nicht installiert hatte. Zu spät hatte man gemerkt, dass iTunes 7.7 auf einem Windows 2000-System die Installation verweigert.

„Weltweite“ Veröffentlichung nicht geglückt

Offensichtlich übernahm sich Apple damit, dass iPhone 3G weltweit an nur einem einzigen Tag zu veröffentlichen. Es gibt mehrere Ursachen für das Chaos: Einerseits überhob man sich eventuell logistisch. Oder aber man fertigte schlicht und ergreifend einfach nicht ausreichend Geräte zum Release. Eine andere Ursache könnte die zaghafte Bestellung von T-Mobile darstellen, das nach dem verpatzten Start des ersten Modells nicht an einen so überwältigenden Erfolg glaubte. Alles in Allem eine peinliche Geschichte für alle Beteiligten.

MobileMe

MobileMe ist da. Eigentlich eine coole Sache! Endlich pushen wir unsere Kontakte, Termine und Mails als wären wir die Manager von Morgen. Für Apple wiederum stellte die Migration von DotMac zu MobileMe eine weitere Kraftanstrengung dar. Auch diese Umstellung machte Zicken. Mal war MobileMe erreichbar, dann wieder nicht.

Nutzer, die auf den kostenpflichtigen Dienst angewiesen sind, reagierten teilweise gereizt und mit Recht verärgert. Ständige Ausfälle waren an der Tagesordnung. Gestern Abend versuchte man das Problem mit einem Softwareupdate in den Griff zu bekommen. Die Aktualisierung konnte freilich nicht die lahmen Server beschleunigen.

Seit heute früh verrichtet MobileMe seinen Dienst aber weitgehend fehlerfrei (abgesehen davon, dass hin und wieder eben nichts gepusht wird). Allerdings „fühlt“ sich MobileMe sehr zäh und langsam an. Sicher läuft bei einer Umstellung in dieser Größenordnung nicht immer alles so wie es sollte. Dies könnte man auch verschmerzen. Doch Apples Onlinedienst kostet Geld und setzt damit die Messlatte etwas höher. Die Umstellung ist in meinen Augen mehr oder weniger ins Wasser gefallen. Sie wirkt auf den Nutzer unprofessionell.

iPhone OS 2.0 (iPhone)

Hatte man ein iPhone ergattert, stand zwischen dem Kauf und der Benutzung noch die Aktivierung via iTunes. Zwischenzeitlich veröffentlichte Apple dann auch noch iPhone OS 2.0. Die neue Firmware löscht auf den Alt-Geräten sämtliche Daten und deaktiviert das Telefon. Mit einem Schlag wurde es proppenvoll auf den Aktivierungsservern. Millionen iPhone-Besitzer mussten nun ebenfalls per iTunes ihr iPhone erneut aktivieren, um es nutzen zu können. In den nächsten Stunden gab es einen kollektiven Stau auf der Datenautobahn und nur einige Wenige schafften die Freischaltung ihres Gerätes. Der Aktivierungsprozess brach immer wieder ab und hinterließ teilweise „zerschossene“ Geräte.

Bei der Telekom-Hotline meldeten sich mehrere hundert iPhone-Besitzer, die so ihr Gerät in einen „iBrick“ verwandelt hatten. Frust gab es auch bei den Neukunden. Sie hatten das iPhone 3G gekauft, konnten es aber nicht benutzen. Noch immer währt das Geduldsspiel und im Moment ist kein Ende in Sicht. Eine unhaltbare Situation, die Apple geschadet haben dürfte. Viele Kunden sind enttäuscht und haben das Vertrauen in Apple teilweise verloren. Gar nicht auszudenken, wenn diese Misere dem Konkurrenten Microsoft unterlaufen wäre – die Häme in der Macosphäre wäre riesig. Im Moment kann Apple noch auf die gewachsene Kundenzufriedenheit bauen, aber der Ruf beginnt seit gestern zu bröckeln.

Software 2.0 (iPod touch)

Als hätte Apple an diesem 11. Juli nicht genug Probleme generiert, eröffnete man am gestrigen Nachmittag gleich noch eine neue Baustelle. Man veröffentlicht auch die Software 2.0 für den iPod touch. Das Update stand in iTunes „theoretisch“ zum Download bereit. Praktisch ging aber gar nichts. Wollte man die Aktualisierung herunterladen, brach der Versuch mit der Fehlermeldung „der iTunes Store ist kurzzeitig nicht verfügbar“ ab.

Der auf der Homepage eingerichtete Link wurde kurz darauf wieder entfernt. Er lief eh ins Leere. Zudem machte gestern ein Direktlink im Internet die Runde, über den man das Softwareupdate von den Apple-Servern kostenlos herunterladen konnte. Dieses Schlupfloch schloss man zwar. Die Datei verbreitet sich allerdings gerade sternförmig in den einschlägigen P2P-Tauschbörsen. Bei einem Verkaufspreis von 8 Euro sicher nicht das finanzielle Desaster, aber dennoch hat man einige tausend US-Dollar eingebüßt. Nunmehr ist das rund 223 MB große iPhone 2.0 Softwareupdate offiziell über iTunes für 7,99 Euro erhältlich.

Fazit

Den gestrigen Tag kann man nur als chaotisch beschreiben. Zum ersten Mal hat man bei Apple das Gefühl gehabt, dass man sich mit der Vielzahl der Veröffentlichungen übernommen hat. Die Aktivierung aller iPhones weltweit an einem Tag abzuwickeln grenzt schon an Naivität. Wie kann man allen Ernstes daran glauben, dass dies ohne Probleme funktioniert.

Weiterhin erlebten wir gestern einen Verkaufsstart, der keiner war. Die Pressemeldung der Telekom, man habe 15.000 Geräte verkauft, wirkt bei einer Verteilung auf 1.800 Verkaufsstellen eher lächerlich. Ist man wirklich davon ausgegangen, dass 5-10 Geräte pro Filiale ausreichend sind? Oder hat man einfach den im Vergleich zum Vorgänger halbierten Verkaufspreis unterschätzt? Selbst dem größten Pessimisten dürfte nach der Jobs-Ankündigung zur WWDC klar gewesen sein, dass sich das neue iPhone 3G zu diesem attraktiven Preis bedeutend besser vermarkten lässt als noch das teure Modell der ersten Generation.

Sicher nahm Apple keinen finanziellen Schaden. Dem Ansehen und dem Image der Firma schadete der gestrige Freitag sicher. Das professionelle und smarte Saubermann-Image erhielt einen kleinen Knacks. Der Perfektionist Steve Jobs sollte heute alles andere als zufrieden den Apple Campus in Cupertino betreten.


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