Kommentar: Office quo vadis – die Rückkehr der Thin Clients

rj, den 29. Oktober 2008
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Irgendwie gab es das schon mal vor gefühlten zwanzig Jahren. In den 90ern tobte die Debatte Thin vs. Fat Client, damals unter anderem befeuert von der Möglichkeit, grafische Terminals in eine WinNT-Serverstruktur einzubinden. Lang und breit wurden die Vorteile diskutiert: zentrale Datenhaltung, günstige Infrastruktur, einfache Wartbarkeit und so weiter. Das Ende vom Lied ist bekannt: die Rechner wurden billiger und leistungsfähiger, und irgendwann waren sie allen Prognosen und Empfehlungen zum Trotz Fat Clients. Bis heute gilt zumeist die Regel: Was man an Applikationen braucht, hat man installiert. „Oder im Browser“, so die gelegentliche Ausnahme, die einmal mehr die Thin Client-Idee befeuert. Nur nennt sie sich heute „Cloud Computing“.

Aber das ist ja auch gut so. Was wäre die IT-Branche, wenn sie nicht in regelmäßigen Abständen altbekannten Zöpfen schicke, neue Namen geben würde. Microsofts jüngster Vorstoß in dieser Richtung kommt passenderweise auch nicht mit durch Bullshit-Bingo seit einiger Zeit hoffnungslos diskreditierten Begrifflichkeiten wie „Software as a Service“ oder „Business on Demand“ daher. Stattdessen hört er auf den schön strahlenden Namen „Azure“. Dahinter verbergen sich auch keine simplen zentralen Serverarchitekturen, sondern eben „Cloud Computing“. Klingt anders, ist im Grunde dasselbe, und soll nun ganz groß durchstarten. Unternehmenssoftware aus Redmond soll in naher Zukunft grundsätzlich nicht nur als Programmpaket, sondern auch als netzbasierter Service zur Verfügung stehen.

Konkrete Anfänge sind angekündigt: Browserversionen für Office. Die Konkurrenz: Google Docs. Google wird in diesem Bereich inzwischen als die größte Gefahr für Microsofts Vormachtstellung wahrgenommen, dementsprechend logisch ist die Festsetzung des neuen Kurses, den Microsoft mit Azure und Browser-Officelösungen nun fahren will. In ein paar Jahren haben wir – Vorsicht, noch ein Buzzword – Ubiquitous Computing und greifen von überall auf allen möglichen Geräten und Plattformen aus auf die gleichen, netzgestützten Softwarelösungen zu. Wir laden, bearbeiten und speichern Files, die irgendwo im Netz abgelegt und damit immer erreichbar sind und so weiter. Und alle sind glücklich.

Alle? Oder wird beispielsweise die Anhängerschaft gewisser Produkte aus dem Hause Apple ein wenig verwundert zuschauen, wie alle Welt vom Cloud Computing redet und auf Thin Client-Technik umsteigt?

Denn irgendwie haben sich in den vergangenen 15 Jahre die Menschen nicht unbedingt stark verändert. Sie haben immer noch gerne die Applikationen und Daten daheim vor Ort, mit denen sie zu tun haben. Viele mögen zum Teil keine wirklich vernünftige Datensicherungsstrategie haben, es aber dennoch vorziehen, ihre Files auf der heimischen Platte zu haben, plus ein drei Monate altes DVD-Image. Zumindest, wenn die Alternative „Microsoft-Rechenzentrum“ lautet, auch wenn dort stündlich Backups gefahren werden und imposante RAID-Arrays ihren Dienst tun.

Insbesondere die Plattformunabhängigkeit, die einer der wirklichen Vorzüge beispielsweise von Google Docs ist, spielt in der Macwelt nicht ganz dieselbe Rolle. Kalender, Mails, Termine, Dokumente, Musik zwischen mobilen und stationären Plattformen abzugleichen, ist in der Macwelt eine recht triviale Aufgabe. Einzig in Bezug auf gruppenbezogenes Arbeiten sind die Browserlösungen wirklich eine feine, neue Sache. Ob man dafür aber in Zukunft nennenswert Software-Ressourcen ins Netz auslagert?

Richard Stallman, Gründer der Free Software Foundation, drückte es gewohnt drastisch aus: „Schlimmer als Dummheit“ sei der aktuelle Hype um die Rechnerwolken, die bereitwillig die Aufgaben der heimischen Programme übernehmen wollen. Man gibt die eigenen Daten preis, in der Regel an proprietäre Anbieter mit geschlossenen Formaten. Ein Modetrend, weiter nichts, sei die Wiederkehr der Thin Clients und ihrer Server, die heute eben Wolken sein sollen. Schon allein die Marketingbegrifflichkeiten legen nahe, dass Stallman so falsch nicht liegen wird.

Bis heute sind Kompatibilitätsprobleme diverser Office-Suiten sprichwörtlich. Wer jemals eine Präsentation erleben durfte, wird sich mit Sicherheit daran erinnern können, wie wenig die Versprechen reibungsloser Hochglanz-Projektionen mit dem alltäglichen K(r)ampf und Elend zu tun haben, welches sich neben Notebooks, USB-Sticks, Office-Variationen, Beamern, VGA-Adaptern, Netzanbindungen und der Suche nach Steckdosen abspielt. Ob hier eine „Wir verlassen uns einfach aufs Netz“-Strategie Erleichterung bringt?

Nicht repräsentative persönliche Ansichten: Eine einigermaßen intuitv bedienbare Office-Oberfläche, darunter ein stabiles System, mit vernünftigen, plattformübergreifenden Import- und Exportfiltern, das ist der Himmel. Und der Himmel ist weit entfernt. Nach dem Blick in die Glaskugel wurde im Team weiter prognostiziert, dass „…in 20 Jahren persönliche Rechner der letzte Schrei sind, die Daten auf eigenen Datenträgern beim Nutzer vor Ort speichern können“. Und zum Schluss das Bekenntnis eines Kollegen: „Ich bin ein großer Fan von Cloud Computing. Das ist fast so genial wie die 50er-Jahre-Idee, dass jede Straße einfach ihr eigenes kleines Atomkraftwerk kriegt.“


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