Kolumne: Das kommt von unten

rj, den 25. Juli 2009
Baumstumpf in Monkey Island
Baumstumpf in Monkey Island, Screenshot

„Nach oben“ scheint der gemeinsame Nenner einiger der prägenden Ereignisse der letzten Woche zu sein. Ob Apple-Quartalszahlen, der Blutdruck einiger Akteure jüngster Vodafone-Werbekampagnen oder die Saturn-Raketen, die vor 40 Jahren die ersten Menschen auf den Mond brachten.

Ich war drei Tage lang unentschlossen, ob ich den Vodafail kommentieren sollte. Draufhauen, wenn wer am Boden liegt, ist schlechter Stil. Aber liegt wer am Boden? Und was war eigentlich los? Kurzgefasst kann man sagen, Vodafone ist nicht Apple, das HTC Magic kein iPhone.

Länger gefasst: Vodafone will eine netzaktive „Generation Upload“ ansprechen und sie fürs mobile Internet und beispielsweise das HTC Magic begeistern. Dafür macht man eine Werbekampagne, in der man ganz webzwonullig auch diese „Generation Upload“ zu Wort kommen lassen will bzw. jene in Szene setzt. Der Dialog mit der „Basis“ soll ja Authentizität schaffen, Kundenfreundlichkeit, klassische Win-Win-Situationen und was es noch schönes im Marketingsprech gibt. Nur wird dieser Dialog sehr schnell problematisch, wenn man als Unternehmen die hoch umstrittenen Netzsperren offenbar klasse findet, die gelinde gesagt affirmative Vodafone-Haltung zur geplanten Zensurinfrastruktur per Dekret aus der Debatte nimmt und eine Tariflandschaft anbietet, für die sich die Zielgruppe beim besten Willen nicht begeistern kann. Die anschließende Kampagne legt eine Bauchlandung hin und seitdem ist wilder Aufruhr im Netz, der Wellen bis nach England schlägt. Falls der Plan lautete, sowas wie die iPhone-Begeisterung des Apple-Lagers per Netzkampagne auch in Sachen Vodafone und HTC zu installieren, bleibt in der Tat fast nur, Vodafone leise ein YOU ARE DOING IT WRONG zuzuflüstern.

Um aber zur Kurzfassung zurückzukommen: Stephan Dörner bringt das Ding mit den authentischen Nutzerstimmen und dem universalen Scheiternmüssen jeglicher PR auf den Punkt und stellt klar:

Okay, es gibt eine Ausnahme: Apple. Aber das ist eine Sekte und kein Unternehmen und die Kunden sind Gläubige. Aber das kommt von unten, von den Nutzern selbst nicht durch die tolle PR-Arbeit von Apple.

Über die Sekte mag man streiten, das mit den Nutzern will ich an der Stelle unterschreiben und aktuell illustrieren. Jens Neumann schickte uns diese Woche folgende Info zum folgenden Film:

Ich habe mit dem neuen iPhone, etwas Tape, einem Tripod und ein bisschen Final Cut Studio ein kleines Video über meine Heimatstadt Bremen gebastelt…. In Final Cut Pro habe ich daraus ein Film in der Tilt Shift Technik erstellt, damit alles wie eine Miniatur Stadt aussieht.

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Generation Upload

Generation Upload, die kreativ mit der Technik umgeht. Sowas wird gemeint gewesen sein nebenan. Tja. Aber lästern ist leicht, und eines hat „Vodafail“ geschafft: alle reden davon, ich auch. So gesehen ein voller Erfolg.

Das mit dem „nach oben“ gab es letzte Woche in zwei weiteren Kontexten. Zum einen verkündete Apple Quartalszahlen und konnte wieder zufrieden sein. Ein „trotz Finanzkrise“ traue ich mich gerade gar nicht anzumerken, weil fraglich ist, ob es die überhaupt gibt. Jedenfalls: ein Unternehmen, dessen Sorge gerade ist, dass eigene Produktlinien durch andere eigene Produktlinien verdrängt werden, kann mit einer gewissen Grundzuversicht in die Zukunft blicken. Selbst dann, wenn anderswo schon die Kannibalen-Metapher ausgepackt wird, wenn es um den sinkenden Stern des iPod (ohne Touch) gegenüber iPod (mit Touch) und iPhone geht.

Mit etwas Abstand scheint mir die spannendste Info der Quartalsergebnisse übrigens die zu sein, dass die Hälfte der Rechnerkäufer in den Retail-Stores Apple-Neukunden bzw. Switcher sind. Alles keine potentiellen Adoptiveltern von Steve Ballmers „Windows 7 baby!“ mehr, das diese Woche offiziell für fertig erklärt wurde und angesichts sinkender Gewinne und Umsatzzahlen in Redmond dringend der Käufer bedarf. Angesichts des ballmerschen „we can … boom! make great things happen this year“ werden jedoch inzwischen schon die Psychologen gefragt, wie sie Ballmers geistigen Zustand einschätzen. Beim OS selber überwiegt ebenfalls die Skepsis. Die Zeit titelt mit „Microsoft meldet Windows 7 fertig“ fast schon in taz-Qualität, und ob SpOn das MS-Dilemma nun unabsichtlich oder mit bewusst subtilem Spott beschreibt, wenn sie ihre Ankündigung des neuen MS-OS mit den Worten „Bei Windows 7 handelt es sich um eine Weiterentwicklung von Windows Vista.“ beschließen? Mit diesem Satz ist über das kommende OS eigentlich alles notwendige gesagt.

Zurück zum Aufwärts: nach oben ging es zu guter Letzt auch vor vierzig Jahren – die vergangene Woche stand ganz im Zeichen der Mondlandung 1969.

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Natürlich durften einmal mehr die Verschwörungstheorien aufgekocht bzw. widerlegt werden, dass damals kein Mensch auf dem Mond war. Aber eine der schönsten Aktionen zum Anlass war meines Erachtens nach der Release des Quellcodes der Steuerungscomputer von Mondlandefähre und Kommandomodul der ersten Mondlandemission. Wie lang wird es dauern, bis der erste Lunar Lander-Ableger im App Store aufschlägt, der Gebrauch von den Originalcodes der NASA macht? Ach, angesichts des Youtube-Videos zum Anlass: Die NASA hat restaurierte Videos der Apollo-11-Mission auch in HD ins Netz gestellt. Und so sehr ich für freie Wahl der Codecs bin, dass nur Quicktime zur Auswahl steht, amüsiert natürlich ein klein wenig.

Krisenmanagement

Und sonst? Krisenmanagement bestaunen durfte man noch bei Amazon, dort löschte man von allen Kindle-E-Bookreadern ausgerechnet George Orwells „1984“, das versehentlich ohne entsprechende Lizenzrechte verkauft wurde. Jeff Bezos entschuldigte sich für die Panne, die symbolträchtiger kaum zu inszenieren gewesen wäre.

Der Spott fällt indes an dieser Stelle etwas schwer, schwebt doch über vielen iPhone-Nutzern ebenfalls ein Apple-Killswitch für Applikations-„Rückrufe“. Der wurde zwar noch nicht eingesetzt, aber erinnert dennoch daran, dass nach wie vor im eBusiness ein „gekauft“ nicht unbedingt mit dem Konzept des Besitzens zu tun hat, wie man es in anderen Kontexten als selbstverständlich betrachtet. Auch beim Kleinkrieg zwischen Apple und Palm in Sachen Palm Pre-Synchronisation via iTunes ist das Maclager keine Insel der Seligen, sondern scheint der Anwender Nebensache zu sein – wenns um das Zerstören von Interoperabilität mit iTunes geht, muss man eben ein paar Updates, Downloads und Reboots mehr in Kauf nehmen. Immerhin: Apple lässt wieder drüber reden. Und der Pre synct wieder. Es geht also doch irgendwie vor- oder aufwärts, wenn auch gelegentlich gezwungenermaßen.

Und wie geht’s nach unten? Monkey Island 1 kam ganz offiziell fürs iPhone heraus, und prompt wurde gefragt, wie es um das „Insert Disk#23“-Easteregg stünde, das in der Diskettenversion seinerzeit beim Blick in einen Baumstamm zu finden war. Unterirdische Labyrinthe waren im Adventure-Klassiker der Neunziger so schon damals keine zu sehen. Diskette 23 gabs nicht, das Spiel wurde auf „nur“ vier Disketten ausgeliefert. Den Kopf in den Baumstamm stecken will Guybrush heute nicht mehr, offenbar wurde das Gimmick ersatzlos gestrichen. Abwärts scheint diese Woche einfach keine Option gewesen zu sein. Schönes Wochenende.


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