WWDC-Keynote, Rückblick: Von Selbst- und Enttäuschungen

rj, den 8. Juni 2010

Das iPhone 4 ist da, Safari 5 ebenfalls. Die gestrige WWDC-Keynote war alles in allem ein Erfolg und dennoch – die Livestream-Zuschauer werden es bemerkt haben – in mancher Hinsicht trotzdem etwas enttäuschend. Mit einer Nacht Abstand werden die Gründe etwas klarer – und auf Apples Seite liegen sie nicht mal unbedingt. Ein Kommentar.

Im Vorfeld war die Spannung hoch, der Einstieg wie erwartet, das iPhone 4 ebenso – und anschließend vermochte nicht einmal ein „One More Thing“ darüber hinweghelfen, dass die fast zwei Stunden lange Keynote nicht nur lang war, sondern auch lang wirkte. Warum?

So schwer mir das Eingeständnis fällt: einmal lagen wir falsch mit unserer (und den von den meisten unserer Leser geteilten) Einschätzung, dass der Verlust eines iPhone-Prototypen ein PR-Stunt Apples war. Diese Schlussfolgerung sollte man mit hinreichender Gewissheit ziehen können – Apple hätte kaum gezielt praktisch alles vorab aus dem Hut gezaubert, was bei der Keynote vorgestellt werden soll. Schlussendlich war die einzige wirklich gelungene Überraschung das Gyroskop.

Und daraus folgt, dass auch Kollege Antoni in einer seiner Kolumnen wohl richtig lag:

„Irgendwie verlieren die Produkte an Magie, wenn sie zuvor bereits im Internet auftauchen. Das ist so, als würde man bereits jetzt wissen, was für Geschenke man an Weihnachten bekommt. Möchte ich von den netten Vietnamesen mehrmals auf die Kamera im iPod touch-Prototypen hingewiesen werden? Die Antwort lautet Nein! Aber man kommt leider nicht darum herum.“

Ich bin Teil des Problems, nicht Teil der Lösung – selbstredend schrieben auch wir über den verloren gegangenen Prototypen, und das nicht zu knapp. Insofern mag es ausgleichende Gerechtigkeit sein, wenn man gegen Ende einer Keynote dann doch irgendwie enttäuscht ist, auch wenn der neue Maßstab in Sachen Smartphones vorgestellt wurde.

Ja – es kam anschließend nichts begeisterndes mehr – auf einer Entwicklerkonferenz einerseits verständlich, auf der anderen Seite angesichts der gut geölten Hypemaschine Apples eben auch irgendwo enttäuschend. Eben weil diese Maschine so gut funktioniert, ist davon auszugehen, das der iPhone4-Leak eben tatsächlich die Dramaturgie sabotierte – an der Apple eben trotzdem festhielt, auch wenn beispielsweise Safari 5 und iTunes 9.2 ebenso „Keynote-ready“ gewesen wären.

Das Produktportfolio Apples ist in den letzten Jahren in die Breite gewachsen – nach zwei Schwergewichten wie dem iPad und dem iPhone4 ist nachvollziehbar, dass die weiteren Hardwarekandidaten – Mac Mini, Mac Pro, Apple TV – nicht auch gleich in neuer Version erscheinen. Auch neue Mac OS-Versionen werden angesichts der iOS-Entwicklung eben dahinter priorisiert worden sein. Alles irgendwo nachvollziehbar.

Also: Enttäuschung – oder nicht vielmehr Selbsttäuschung? Zu weiten Teilen letztere. Auch dass ausgerechnet Farmville explizit auf dem iPhone vorgestellt wird: es wäre bedauernswerter Elitismus, wenn man sich an der weiten Verbreitung der Apple-Geräte – und der damit logisch folgenden Annäherung an den Massengeschmack – stören würde.

Trotz allem einige kritische Worte. Apple hat genügend Gründe, auf sich stolz zu sein. Sich ausgerechnet mit „offenen Standards“ zu feiern, ist heute mehr denn je fehl am Platz, und daran ändert auch die PDF-Fähigkeit von iBooks nicht – im Gegenteil ist es ein Armutszeugnis, dass man selbige auf einer mobilen Web- und Readerplattform explizit preisen muss.

Ebenso unpassend das Eigenlob in Sachen App-Zulassungen. 95% in 7 Tagen sind vertretbar, aber kein Ruhmesblatt – Entwickler, die kritische Updates einspielen wollen, werden ein Lied davon singen können. Angesichts der Diskussion um App Store-Zensur, Prüderie und Undurchsichtigkeit der Zulassungsprinzipien ist es zwar durchaus angemessen, das Thema anzusprechen. Anschließend aber bei Stabilität, Private APIs und Performance als Kriterien stehenzubleiben ist – man verzeihe die Schärfe – schlicht feige.

Um versöhnlich zu schließen: man könnte zu guter Letzt anbringen, dass vieles auch noch schlicht von der „Future of iPhone OS“-Keynote bekannt war. Spätestens dann begibt man sich jedoch in den Bereich der Luxusprobleme. Insofern – dem einen mag die Kritik aus dem Herzen sprechen. Aus anderer Perspektive gesehen: wenn man solche Kritikpunkte bei der Präsentation eines wegweisenden neuen Smartphones auspackt, dann muss das Smartphone selbst offenbar ein ordentliches Stück Technik sein. Die Prognose ist nicht allzu gewagt: das „neue Baby“ wird geliebt werden.


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