Jugendmedienschutz im App Store und die Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia: Der Odyssee 2. Teil

rj, den 22. Juli 2010
ab18

Mit dem Begriff „unübersichtlich“ dürfte die Situation in Sachen Jugendmedienschutz und seiner Kontrollorgane in Deutschland nicht ganz unzutreffend beschrieben sein. Nachdem wir auf unsere Anfragen nach Regulierungspflichten Apples für App Store-Spiele in Deutschland von der USK und BPjM zu jugendschutz.net, weiter zur KJM und BLM verwiesen wurden, folgen nun die Ansichten der Freiwilligen Selbstkontrolle Multimedia zum App Store. Und – mit Einschränkungen – jene von Apple Deutschland.

Die FSM als Organisation der Jugendschutz-Selbstkontrolle von Medienbranche und Online-Anbietern existiert seit 1997 und ist von den relevanten staatlichen Institutionen anerkannt. Sie

„…berät Mitglieder und Nichtmitglieder in Fragen des Jugendschutzes… Der Verein bietet ordentlichen Mitgliedern die Möglichkeit, sich dem im Jugendmedienschutz-Staatsvertrag (JMStV) vorgesehenen Modell der regulierten Selbstregulierung anzuschließen und die FSM bei Streitigkeiten mit der KJM einzuschalten. Die entsprechenden Unternehmen genießen somit die im JMStV vorgesehene Privilegierung für Mitglieder einer anerkannten Selbstkontrolle.“

Die freiwillige Selbstkontrolle Multimedia (FSM)

Auf unsere Frage nach einem Prüfverfahren bzw. einer Kennzeichnungspflicht für App Store-Games bestätigte die FSM die nicht vorhandene Pflicht zur Vorlage oder Kennzeichnung nicht via Trägermedium vertriebener Spiele und Applikationen. Stattdessen müssen Anbieter von Inhalten, welche

„…die Entwicklung und Erziehung von Kindern und Jugendlichen beeinträchtigen können … Sorge dafür tragen, dass sie solche Inhalte üblicherweise nicht wahrnehmen. Das kann der Anbieter nach geltendem Recht tun, indem er entweder technische Mittel wie z. B. die Überprüfung von Personalausweisnummer und weiteren Angaben einsetzt oder die sogenannte Sendezeitenregelung nutzt. Beide Maßnahmen sind für Internetanbieter nur sehr unbefriedigend nutzbar.“

Eine begrüßenswerte Erkenntnis, die sich hoffentlich auch in der Politik durchsetzt. Auch hier bietet Apple bereits die bekannten Schutzfunktionen an und krankt allenfalls am allgemein geteilten Problem, dass Jugendliche in der Regel bei entsprechendem Willen auch einen Weg finden, elterliche Schutzmaßnahmen zu unterlaufen.

Das Problem, dass der „Jugendschutz“ gelegentlich zum Erwachsenenschutz mutiert, wenn die eingesetzten Prüf- und Verifikationssysteme zu aufwändig, teuer oder beides werden, soll mit dem 2011er-Entwurf des JMStV angegangen werden:

„Im Rahmen der Reformierung des Jugendmedienschutz-Staatsvertrages (JMStV) war es ein wesentliches Anliegen, genau dieses Problem zu adressieren. Einerseits soll es Anbietern ermöglicht werden, Inhalte für ältere Jugendliche und Erwachsene ohne unverhältnismäßige Einschränkungen anzubieten, und andererseits müssen die Belange des Jugendschutzes ausreichend berücksichtigt werden. Diesem Ziel folgend ist die Möglichkeit für Anbieter eingeführt worden, ihre Inhalte altersdifferenziert zu bewerten und mit einem optischen und technischen Alterskennzeichen zu versehen. Diese Kennzeichnung erfolgt in der Regel gerade nicht, im Gegensatz zum Bereich der Trägermedien, durch eine zentrale Stelle, sondern kann durch den Anbieter selbst erfolgen.
Dass Inhalteanbietern eine Bewertung ihrer Angebote auf eine mögliche Jugendschutzrelevanz unter Umständen nicht leicht fällt, liegt in der Natur der Sache. Deshalb sieht der JMStV-2011 zwei Möglichkeiten der Unterstützung vor: Der Anbieter kann seine Altersbewertung zur Bestätigung einer anerkannten Einrichtung der Freiwilligen Selbstkontrolle (also z. B. der FSM) vorlegen, oder er kann sich eines Tools bedienen, welches ihn bei der Einschätzung der Altersstufe seines Angebotes unterstützt. Ein solches Tool wird derzeit durch die FSM eigens für diesen Zweck erstellt. Die so ermittelte Altersstufe wird auf eine noch festzulegende Weise dokumentiert und technisch lesbar mit dem Angebot verbunden. Die Art und Weise der technischen Nutzbarmachung muss noch abgestimmt werden (vgl. § 12 JMStV-2011).“

Apple ist hierbei in Sachen Jugendfreigaben tendenziell päpstlicher als der Papst – wenn eine Applikation WWW-Zugriff ermöglicht, wird sie dadurch schon auch einmal mit einer Sperre für Jugendliche belegt. Unstimmigkeiten stehen in Sachen App Store vermutlich „nur“ bei der transatlantisch unterschiedlichen Einschätzung der gefährdenden Potentiale von Erotik bzw. Gewalt ins Haus – dazu später mehr. Andere Akteure in Deutschland werden mehr Grund zur Sorge haben als Apple, denn die Kennzeichnungspflicht soll laut FSM für sämtliche Online-Inhaltsanbieter gelten:

„Diese Kennzeichnung ist für alle Arten von Onlineinhalten gedacht. Also sowohl für Bilder und Texte auf Internetseiten, aber auch für andere telemediale Inhalte wie Online-Games oder Trailer.“

Dass eine „Selbsteinschätzung“ der FSK-Freigabe häufiger nicht zutrifft, hatte letztens Alvar Freude in einem mehrteiligen Experiment aufgezeigt. Das angekündigte Tool der FSM soll laut Freude vergleichsweise zeitaufwändig sein – für eine einzelne Einstufung (für eine App wie auch für einen Blogeintrag) könnten 10 Minuten Prüfdauer veranschlagt werden.

Die Klassifizierungen sollen maschinenlesbar sein und so die einfache und zuverlässige Nutzung von Filter- und Jugendschutzprogrammen im privaten Bereich ermöglichen. Mit Apple stand man diesbezüglich noch nicht in Kontakt. Technisch traut man Cupertino durchaus zu, entsprechende Kennzeichnungsformate umzusetzen, die Antwort der FSM deutet jedoch an, dass eine Verpflichtung Apples zu den Vorgaben des kommenden JMStV 2011 nicht unbedingt möglich oder gar einfach sein könnte:

„Sinn und Zweck solcher Alterskennzeichen ist es, dass Eltern der Einsatz von Filterprogrammen ermöglicht wird, die dieses Kennzeichen auslesen und– je nach Einstellung im Programm – ungeeignete Inhalte nicht anzeigen. Gleichzeitig können Anbieter aber auch Inhalte „ab 16“ oder „ab 18“ anbieten, ohne auf verhältnismäßig umständliche (und deshalb unpopuläre) Verfahren wie Personalausweisroutinen oder Abfragen von Schufa-Daten zurückgreifen zu müssen.
Ob dieses Alterskennzeichen des JMStV-2011 auch im iTunes-Store Berücksichtigung finden wird, können wir nicht vorhersehen. Die Art und Weise, wie die „Kindersicherung“ in iTunes strukturiert ist, scheint das aber problemlos möglich zu machen. Wie Apple als international agierender Konzern die deutschen Vorgaben zum Jugendschutz umsetzen wird, können wir jedoch nicht kommentieren.“

Auf die konkrete Frage, wer für eine Regulierung/Kontrolle/Freigabe der Spiele- und Medienangebote des App Store zuständig sei, setzt sich die Odyssee fort bzw. nimmt ihr Ende – je nach Betrachtungsweise. Denn auch die FSM sieht bei Apple nicht eindeutig eine Pflicht zur Prüfung bzw. Kennzeichnung:

„Welche Inhalte im App Store zugelassen werden, hat letztlich der Anbieter der Plattform in der Hand: Eine Entscheidung, beispielsweise grundsätzlich keine Erotik-Inhalte zuzulassen, ist also durchaus nicht ausgeschlossen. Dies wäre aber eine Beschränkung, die über die gesetzlichen Vorgaben hinaus ginge und sicher auch eine unternehmerische Entscheidung widerspiegeln würde.
Wenn nun via iTunes Inhalte angeboten werden, die (im Wesentlichen) inhaltsgleich mit solchen sind, die bereits als Trägermedien eine Altersfreigabe erhalten haben, ist die dortige Freigabe und Kennzeichnung zu übernehmen. In allen anderen Fällen können die Anbieter oder Ersteller der Apps bzw. Medien selbst eine Alterskennzeichnung vornehmen – müssen dies aber nicht.“

Auf die Frage, ob das Jugendschutzsystem Apples von Seiten von der FSM als ausreichend erachtet wird:

„Die FSM hatte bisher keinen Anlass, sich intensiver mit diesem System zu befassen. Apple ist nicht Mitglied der FSM, weshalb wir das Angebot dieses Unternehmens nicht geprüft haben. Auch wurde, soweit ersichtlich, bislang keine Beschwerde an die FSM-Beschwerdestelle herangetragen, in der sich ein Nutzer über einen Verstoß gegen die gesetzlichen Jugendschutzvorgaben beschwert hätte. […Bislang gab es] keinen Kontakt zwischen der FSM und Apple. Ob das Unternehmen im Austausch mit anderen deutschen Jugendschutzinstitutionen steht, wissen wir nicht.“

Wir fragten weiter nach bekannten Fällen einer nicht gegebenen oder zurückgezogenen App-Zulassung im deutschen App Store und konkreten Beispielen: das im US-Store problemlos ladbare Wolfenstein 3D für iPhone ist im deutschen Store (unseres Wissens nach nur, weil id freiwillig das Angebot gar nicht in den deutschen Store brachte) nicht verfügbar, Rise of the Triad (ROTT) oder das bereits erwähnte Doom Resurrection hingegen schon. Die Antwort der FSM:

„Ob es eine solche Einflussnahme gegeben hat, wissen wir nicht mit Sicherheit. Die Nichtverfügbarkeit von ‚Wolfenstein 3D‘ mag allerdings an der – auch strafrechtlich relevanten – ausgiebigen Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (vulgo Hakenkreuzen) liegen, was auch die Ursache für die Indizierung durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) und später sogar der bundesweiten Beschlagnahme der entsprechenden Trägermedien war. ‚Rise of the Triad‘ wurde in den 90-ern zwar wegen exzessiver Gewaltdarstellungen ebenfalls indiziert, jedoch nicht beschlagnahmt. Es darf Erwachsenen deshalb grundsätzlich weiterhin zugänglich gemacht werden; auch Hakenkreuze gibt es in dem Spiel nicht. Gleiches gilt für ‚Doom 3 – Resurrection of evil‘.“ [sic! – Doom 3 RoE ist ein Missionpack zum PC-Game Doom 3, der Railshooter für iPhone heißt ‚Doom Resurrection‘].

Anzumerken ist, dass ROTT mit 12+ im App Store freigegeben ist, gleiches gilt für DOOM Resurrection.

Zu guter Letzt muss der FSM aber durchaus der Wille zur sachlichen Abwägung verschiedener Interessen und Rechte gegeneinander attestiert werden. Unser kontroverses Schlussstatement:

„Ich mag anmerken, dass ich bereits Apples „Schutzmaßnahmen“ für überzogen halte und den Jugendschutz in Deutschland für ein veraltetes Relikt ohne nennenswerten praktischen Nutzen. Einer Kontrolle des App Store bedarf es meiner Ansicht nach nicht, auch nachdem das iPad neue Möglichkeiten in Sachen Bilddarstellung, Spielkomplexität, Realismus und Detailgenauigkeit bietet. Das füge ich wie gesagt der Transparenz willen an, wenn es von Seiten der FSM eine Stellungnahme dazu geben würde, würde mich das natürlich ebenfalls freuen.“

Es wurde sachlich kommentiert:

„Ihre kritische Haltung zum deutschen Jugendschutz haben Sie ja bereits im Ausgangsartikel deutlich artikuliert, was auch Ihr gutes Recht ist. Ohne allzu weit ausholen zu wollen, ist uns aber doch der Hinweis sehr wichtig, dass mit dem neuen JMStV ein besserer Ausgleich zwischen dem Schutz der Jugend, der ja immerhin Verfassungsrang hat, und dem Informations- und Unterhaltungsbedürfnis der erwachsenen Nutzer möglich sein wird.“

Apple selbst…

…fragten wir natürlich auch, wie ihre Strategie aussehe bzw. wie die 2011 kommende Revision des Jugendmedienschutz-Staatsvertrags bei Apple gesehen wird und welche Kooperationen mit welchen Institutionen geplant seien. Die Antwort lautete – etwas erwartbar – dass Apple zu diesen Fragen keinerlei Kommentare abgebe. Mit Ausnahme der Feststellung, dass man selbstverständlich mit den deutschen Behörden zusammenarbeite, sollte das notwendig werden.

Nach den Erfahrungen, die wir bei der entsprechenden Recherche machen konnten, kann Apple die Abwartestrategie definitiv nicht zum Vorwurf gemacht werden. Im Gegenteil wird das Unternehmen mit einiger Zuversicht darauf vertrauen können, dass die eigenen Altersfreigaben und -Kennzeichnungen vergleichsweise beispielhaft sind – jedenfalls aus der Perspektive eines „Jugendschützers“ betrachtet. Erstaunlich ist allenfalls, dass mit Apple ein „Big Player“ offenbar in keiner Form von den einschlägigen institutionen angesprochen wurde – einerseits angesichts eines bereits eingerichteten Jugendschutzsystems, dessen Umsetzung die einschlägigen Gremien doch beispielhaft interessieren könnte, andererseits als Anbieter von Medien und Programmen, die sich zu einem guten Teil (auch) an Jugendliche wenden und nicht immer „deutschlandkompatibel“ freigegeben sind.

…und alle anderen?

Der kommende Jugendmedienschutz-Staatsvertrag verspricht indes, für ganz andere Gruppen problematisch zu werden. Während Apple einigermaßen gelassen die deutschen Regulierungs- und Klassifizierungsversuche abwarten kann und vermutlich selbst im Fall des Inkrafttretens des neuen JMStV allenfalls einige Altersangaben sowie XML-Auszeichnungen diverser App Store-Feeds ändern müsste, um dauerhafte Ruhe vor dem deutschen Jugendschutz zu haben, stehen andere Gruppen eher vor Problemen: nicht zuletzt der Gesetzgeber, der Gefahr läuft, ein quasi unumsetzbares Regelwerk zu verabschieden. Dafür muss man nicht einmal Fragen wie jene nach der „Selbstklassifikation“ von Echtzeit-Kommunikationsdiensten stellen, sondern nur beispielsweise die Einwände des medienpolitischen Sprechers der SPD-Landesverbands in Bremen, Rainer Hamann betrachten:

„Ich halte den Versuch die Regelungen der ‚klassischen Medien’ auf das Internet, genauer: die Dienste im Internet übertragen zu wollen für nicht zielführend. Der Versuch unerwünschte, jugendgefährdende Inhalte im Internet verhindern zu wollen wird scheitern. Soziale Problemlagen, wie unbeaufsichtigte Kinder oder schlechter Umgang mit den Medien innerhalb der Familie, lassen sich nicht durch Filtersysteme beheben.
Die Kompetenz im Umgang mit den so genannten Neuen Medien ist zu schulen, Kinder und Jugendliche, aber auch Eltern benötigen Bildungsangebote. … Ich sehe eine Bevorzugung finanzkräftiger Anbieter, wie zum Beispiel große Verlage, die es sich leisten können, Personal abzustellen um ihre eigenen Inhalte einzustufen. Dagegen werden kleine Anbieter – von der kleinen Regionalzeitung bis zum Blogger – vor ernsthafte Probleme gestellt. Jeder soll am Internet teilhaben können.“

Insofern: Ob der Doom-Railshooter fürs iPad dann wider Erwarten doch via US-Account geshoppt werden muss, wenn der neue JMStV in Kraft tritt, dürfte dann ein eher kleineres Problem sein.

Dieser Artikel ist der zweite Teil eines Berichts über die Institutionen des deutschen Jugendschutzes und ihrer Zuständigkeiten in Sachen App Store. Im ersten Teil wurden die (Nicht-)Zuständigkeiten von USK, BPjM, jugendschutz.net, der KJM und der BLM betrachtet.


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