Mac App Store: Zweite Eindrücke und Ausblicke

rj, den 19. Januar 2011

Erst für kurze Zeit ist der Mac App Store nun im Netz, Erfolgsmeldungen gibt es jedoch bereits zur Genüge. Auch die Skeptiker stellten inzwischen fest, dass weder Welt noch unabhängige Softwareentwicklung zugrunde gingen. Praktische Apps, zivile Preise, alles gut demnach?

Vorneweg: Nette Details …

… generierte der Mac App Store auch schon – dass die Kindle-App schon die Toplisten stürmt, bevor eine überfällige iBooks-Portierung die E-Books auf den Desktop bringt, ist eher von anekdotischer Bedeutung. Aber sprechen wir vom Geld. Apertures drastische Preissenkung ist für sich genommen erfreulich für Neukäufer, nimmt aber darüber hinaus möglicherweise einen allgemeinen Trend zur günstigeren Mac-Software vorweg. App Store-Millionäre auch über den Desktop – die Erfolgsgeschichten mit dem 79-Cent-Programm werden auch im Mac App Store nur wenige schreiben. Die Chancen sind jedoch deutlich gestiegen, verglichen mit derselben App, die irgendwo im Netz irgendwie verkauft wird.

Der erfolgreiche Mac App Store-Launch war erwartbar, erstaunlich sind die recht schnell entstandenen Reviews und Bewertungen – viel Synthetik ist dabei, aber um sich ein Bild zu machen, reichen die Nutzerkommentare in der Regel bereits durchaus. Kostenlos ist ebenso vieles – schnell eingerichtet und auch wieder schnell deinstalliert verführt der Shop zum Ausprobieren, und wenn das bei den teureren Programmen noch nicht geht – die Lite-Versionen werden kommen.

Kleine geile Apps

Vor lauter „iPhone-Programme“ und „Widget“-Gerede hat man gelegentlich aus den Augen verloren, dass „Apps“ nichts anderes als ausgewachsene Programme, eben „Applikationen“ sind. Der App Store auf iPhone, iPad und Co. gab dem Software-Markt im einstelligen Eurobereich einen massiven Schub. Noch wichtiger: Er zeigte einen gangbaren Weg für die „vorsichtigen Anwender“, die bislang mit Rechner-Grundausstattung und den Installationen ihrer Helfer arbeiteten und um alles, was wie Download oder Softwareinstallation aussah, einen großen Bogen machten. Hier sind Potentiale zu erschließen.

Dass der Rechner eine Universalmaschine ist, die prinzipiell zur Lösung eines weiten Spektrums von Aufgaben nach Belieben modifiziert werden kann – bei vielen Anwendern scheitert diese Metapher an der ominösen „Modifikation“. Viele kleine verschiedene Tools anzubieten, die jeweils auf spezifische Aufgaben sehr gut abgestimmt sind und gegebenenfalls über Schnittstellen kommunizieren, ist absolut nichts neues. Apple hat ironischerweise einmal mehr ein altbekanntes, schon vielerorts eingesetztes Prinzip – einen Distributionskanal für Mac-Software – genommen und auf eine Art und Weise umgesetzt, mit der auf einen Schlag der leichte und sichere Zugriff auf eine schnell wachsende Zahl von Apps geschaffen wird, die ihrerseits einfach, klar und für meist sehr spezifische, leicht verständliche Aufgaben geeignet sind. Am Horizont dämmern darüber hinaus noch Touchscreen-Macs herauf – womit eine ganze Reihe von iPad-Apps auf einen Schlag auch Mac-Weihen erhalten können.

Streitbarer sind die Thesen, geht es um die „professionellere“ Anwenderschar. Exemplarisch möglicherweise die Diskussion um den potentiell segensreichen Effekt des Mac App Store für Musiker. Dieser

  • … sei immens angesichts einer Vielzahl von 0-15-Dollar-Apps mit professionellen Möglichkeiten, so Synthtopia. Durch einfachen Bezahlvorgang, leichte und sichere Installation und die breite Userbasis werden zahlreiche neue Nutzer gewonnen, die Grenze zwischen Hörer und Musiker zum „Prosumer“ verwischen, Musik interaktiver und zugänglicher machen usw.
  • … sei gnadenlos überschätzt angesichts der wenigen Apps, aufwändigen Entwickler-Zulassungsprozeduren, den praxisfernern Richtlinien in Sachen Plugins/Interaktion zwischen Apps, so die Thesen auf Createdigitalmusic, darüber hinaus sei der Bedarf an der „Prosumer“-App-Welt ein höchst hypothetischer.

Fazit? Zu früh für speziellere Prognosen, aber mit einem „Mehr App-Käufer, mehr App-Coder, vielfältigeres Angebot“ wird man definitiv auf der sicheren Seite sein. Und wenn die Apps erst einmal bei den Anwendern sind, werden sie diese auch nutzen. Kurz gefasst: Mehr Leute werden mehr Spaß an mehr Geräten haben.

Komplexitätsreduktion ist das neue Normal

Der Tritt in Richtung iTunes (es kommt aus der Hölle!) darf nicht fehlen: mehr als für alles andere sollte man Apple dafür danken, den App Store nicht auch noch in das aufgeblasene Ungetüm iTunes integriert zu haben. Statt der eierlegenden Wollmilchsau mit jahrelangen Verfettungserscheinungen iTunes noch eine Funktionalität zu implantieren, bekam der App Store sein eigenes Programm. Hoffen kann man vielleicht gar auf weitere Vereinfachungen nach iOS-Beispiel – separate Videothek, separater App Store und vielleicht gar eine separate Sync/Backup-Verwaltung für die iDevices. Aber an sich geht es unter der Überschrift um eine andere Komplexität – der in Sachen Technik, Rechner und Internet generell.

Die lässt sich noch leichter meiden. Mit lockerem Drag’n Drop der App gab es schon vor Mac App Store-Zeiten ausreichend Anlass zum Belächeln software-installierender (und deinstallierender) Windowsnutzer. Alles noch einfacher nun – und auch über die Frage nach der vertrauenswürdigen Quelle, aus der das DMG hoffentlich kommt, muss man sich in den heutigen Zeiten am Mac nicht mehr stellen. An sich kann man das knappe Fazit ziehen, dass Apple hier in Sachen Programme das umsetzt, was im Musikbereich schon ihr größter Verdienst war: eine DAU-taugliche, praktische, einfache Art, online digitale Güter einzukaufen.

Das böse Wort von den DAUs ist nun gefallen, um das sich der Kollege Trust wacker gedrückt hat. Seine Kritik insbesondere in Richtung der App Store-Kunden im Spielesektor trifft durchaus: Wer in der Vergangenheit nicht die Herstellerseiten fleißig durchstöberte, wird sich mit dem App Store plötzlich im Software-Schlaraffenland wähnen und entsprechend loben, preisen und bewerten. Dass dabei vieles recycled wird, was „alten Hasen“ schon seit geraumer Zeit bekannt ist, Diskussionen über Features und Inhalte nochmal von vorn geführt werden müssen, Ansprüche, die von den Hardcore-Usern hartnäckig eingefordert/durchgesetzt wurden, plötzlich wieder unter den Tisch fallen können – (hoffentlich) Kinderkrankheiten.

Dennoch: möglicherweise der größte Verdienst des App Store ist, dass er eine Distributionsplattform geschaffen hat, die es dem Kunden so leicht wie möglich macht, ans Programm der Wahl zu kommen – legal, schnell, einfach. Ärger mit Lizenzcodes, Freischaltungen, Online-Registrierung, vergessenen Schlüsseln usw. ist schlicht Geschichte. Man fragt sich allenfalls, warum es dafür bis 2011 gebraucht hat.

Apple, schütze uns

Vielleicht, weil es dann doch ein wenig abschreckt, dem Hardware/OS-Anbieter auch noch die Vollmacht zu geben, Applikationen zuzulassen, abzulehnen und die entsprechenden Kriterien nach Belieben zu definieren? Klar, bei hunderttausenden von Apps geht das nicht ohne Streit und gelegentlichen Kollateralschaden, aber die Kritik am Apple-Regime über den App Store ist nicht unbegründet.

Schwerer noch wiegt der „normalisierende“ Effekt: letzten Endes definiert Apple, was die „seriösen Weihen“ des Stores bekommt und was in die Schmuddelecken verbannt wird. Denn Hand aufs Herz: wer wird den weniger technikaffinen Eltern nicht irgendwann ein „Schau bei dem dunkelblauen A-Icon nach, da ist alles sicher“ an die Hand geben und sich ein „…und dann noch Sourceforge“ ersparen?

Die „neue Normalität“ wird der App Store sein, und neben den allfälligen Fragen in Sachen Sex, Gewalt und Jugendschutz, der oft genug zum Erwachsenenschutz mutiert (ok, auf der Apple-Plattform nur bedingt), ist höchst fraglich, ob man dort ein Tor Browser Bundle findet oder einen Freenet-Client für Mac OS X. Und was ist eigentlich angesichts der kommenden weiteren Fälle von inkompatiblen Lizenzen?

Prognosen und unvermeidliches Fazit

Es wird keiner gezwungen. In der Theorie richtig, praktisch hat der Mac App Store das Zeug dazu, eben Quasistandard zu werden. Auf dem iPhone wird von Cydia regelmäßig behauptet, dass der alternative App Store auf ca. 10% der Geräte installiert sei. Gefühlt kommt mir das zu hoch vor, auch hier ist der App Store schlicht das maß der Dinge, der Rest nach wie vor Randerscheinung. Der Mac wird einfach noch ein Stück weit einfacher zu bedienen, die Apps noch leichter zu finden und zu installieren – jedenfalls diejenigen mit App Store-Weihen. Die neue Installations-Normalität ist übersichtlich, sicher und bequem und deshalb wird sie sich durchsetzen. Das „Aussperren“ der Alternativen braucht es gar nicht, die Vorteile für den Normalanwender reichen völlig für einen Siegeszug des App Store aus.

Womit ein weiterer Softwarebereich ganz ohne großen Zwang der Regulierungs- und Zulassungsmacht Apples unterworfen ist. Dass es im Apple-Appiversum dann eben allenfalls verhaltene Erotik gibt, politische Inhalte notfalls weichgespült werden, die Vierbuchstabenwörter ausgesternt werden – hey, es ist Apples Shop. Draußen im Netz ist das alles ja nach wie vor zu haben. Alles nicht schlimm – sondern normal. Im guten wie im schlechten Sinn.


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