Apple und die Designfrage, oder: Was ist Skeuomorphismus?

mz, den 4. November 2012
Scott Forstall
Scott Forstall

Der Weggang von „Senior Vice President of iOS Software“ Scott Forstall von Apple und die anschließende Umstrukturierung in der Verantwortungsstruktur des Konzerns hat seine Ursachen – und auch seine Auswirkungen – nicht nur in formalen Dingen wie der Verbesserung der Kommunikation oder der Steigerung der Effizienz. Es gibt mehrere Gründe für die Entscheidung, dass beispielsweise Eddy Cue nun über Siri und iOS Maps wacht, und auch dafür, warum Sir Jony Ive nun die Designabteilung für Hardware und die für die Software steuert. Apple steht nun möglicherweise sogar ein Richtungswechsel in Sachen Design bevor.

Erst im kommenden Jahr wird Scott Forstall die Firma verlassen, schon aber sind die Techblogs rund um die Welt in heller Aufregung: Woran lag es? Wer übernimmt den „freien“ Posten? Wo geht die Reise nun hin? Auf die ersten beiden Fragen gab es sehr zeitnah bereits die Antworten.

Zur Rekapitulation: Die Kurzmeldung vom Montag kündigt den Weggang von Scott Forstall und John Bowett an. Letzterer war nicht der richtige für den Retail-Bereich gewesen, ersterer ist für den von vielen als „Debakel“ bezeichneten, verbesserungswürdigen Zustand der neuen Apple Maps verantwortlich und muss nun die Konsequenzen tragen.

Jonathan Ive, der Mann hinter dem Hardwaredesign aus Cupertino, bekommt nun auch die Entscheidungshoheit über das „Human Interface Design“, sprich: Die Optik der Software. Sync-Guru Eddy Cue wird in Zukunft zusätzlich zu seinen Aufgaben im Bereich iTunes, App Store, iBooks etc. auch die Maps und Siri übernehmen, während Craig Federighi Leitung der iOS- und OS-X-Abteilungen übertragen bekommt. Bob Mansfield hingegen, der die Firma schon verlassen und seine Entscheidung nach einigen Monaten überdacht hatte, leitet zukünftig den Bereich mit dem herrlich unpräzisen Namen „Technologies“.

Blick in die Zukunft

So weit, so gut. Aber was ist mit der dritten Frage? Sind für die kommenden Jahre nun signifikante Änderungen im Design der Produkte aus dem Hause Apple zu erwarten? Vermutlich würden die meisten, die Jony Ive mögen, es für einen sinnvollen Schritt halten, das Design im Hardware- und Softwarebereich ab sofort unter einem Hut zusammenzufassen. Größere Einheit, größere Kontinuität könnte schließlich auch einen noch höheren Grad an Benutzerfreundlichkeit, Bedienbarkeit und Qualität bedeuten.

Das äußere Erscheinungsbild der Apple-Produkte ist seit der Rückkehr von Steve Jobs und der Beförderung von Jony Ive zum Senior Vice President of Industrial Design eines der Alleinstellungsmerkmale des Konzerns geworden. Tatsächlich ist es mit Apple seit der Einführung des ersten iMacs 1997 kontinuierlich bergauf gegangen und – wir zählen hier nicht alle Produkte, die unter Federführung von Ive entstanden sind – heute handelt es sich um die wertvollste Firma der Welt. Wie viel des Ruhms nun Steve Jobs und wieviel Jony Ive, wieviel allen anderen Mitarbeitern bei Apple gebührt, das sei hier nicht Thema der Diskussion.

Der Punkt ist: Auch Ive führte nur eine bereits begonnene „Tradition“ wegweisender Entscheidungen im Bezug auf das Look&Feel von Technologie fort. Daniel Eran Dilger von appleinsider führt als Beispiel das PowerBook 100 aus dem Jahr 1991 an. Das Design heutiger Notebooks wurde grundlegend von diesem Gerät geprägt. Und ein paar Jahre später, 1994, brachte Apple den „Newton“ auf den Markt. 16 Jahre vor der Vorstellung des iPad gab es bereits damals ein Gerät, das der Bezeichnung „PDA“ alle Ehre machte.

Skeuo…was?

In den vergangenen Jahren – nach fast zahllosen Innovationen (Jony Ive verfügt heute über knapp 600 eingetragene Patente) – hat sich bei Apple allerdings gewissermaßen eine Art Konkurrenz zwischen zwei Designrichtungen ergeben, in erster Linie zwischen dem Ive-schen Minimalismus und einer verspielteren, die Realität abzubilden versuchenden Philosophie, die beispielsweise Steve Jobs und Scott Forstall bevorzugten. Die Rede ist vom Skeuomorphismus. Dieser Begriff wird zur Beschreibung von virtuellen Elementen – beispielsweise Apps in iOS – benutzt, die ein bestimmtes Aussehen aufweisen, das an Objekte aus der Realität erinnert. Dieses Design hat dann – wie zum Beispiel in der Notizen-App oder beim Taschenrechner auf dem iPhone – neben dem dekorativen Charakter keinen weiteren Nutzen.

Diese zwei Fronten gibt es freilich nicht nur bei Apple selbst, sondern auch unter den verschiedensten Nutzergruppen. Erst im September gab es noch mehrere Beiträge auf bekannten Techblogs wie The Verge, die zeigten, wie OS X Mountain Lion ohne die skeuomorphe Optik aussehen würde, sich der Kalender also an den sonstigen Systemfarben orientieren würde, anstatt einen tatsächlichen Abreißkalender zu imitieren. Gleiches gilt auch für das Adressbuch und die gerade erst eigenständig eingeführte Notizen-App.

Und schon brodelt die Gerüchteküche: Ive, der Vertreter des Minimalismus, dessen Vorbild Dieter Rams den Form-Follows-Function-Charakter vor über 40 Jahren in Braun-Produkten eingeführt hat, übernimmt die Verantwortung für Softwaredesign. Nicht zuletzt sein minimalistisches, klares Produktdesign hat die Verkaufszahlen der Geräte im Apple-Portfolio in den vergangenen Jahren explodieren lassen. Forstall, wie Steve Jobs ein Anhänger skeuomorpher Elemente, verlässt die Firma. Werden die von ihm eingeführten Designelemente nun von Ive nach und nach aus Apples Betriebssystemen entfernt? Möchte der Nutzer das? John Pavlus von Technologyreview meint: Nein! Zu viele UI-Elemente haben skeuomorphe Anteile, zu viel müsste verändert werden. Vor allem aber: Das iPhone wird besser verkauft als irgendein anderes Smartphone auf der Welt, die Mac-Computer sind auf dem Weg, ihm dieses nachzumachen. Apple ist zurzeit unsagbar erfolgreich – aller Kritik zum Trotz.

Die angesprochenen Apps sind dabei natürlich nicht die einzigen mit an die Realität erinnerndem Design. Bereits der vor fast 30 Jahren eingeführte „Papierkorb“ ist ein skeuomorphes Designelement. Die Palette reicht über Bezeichnungen wie „Fenster“ und „Dock“ bis hin zu den spiegelnden 3D-Effekten, die wir seit Einführung von iOS von App-Icons auf dem Homescreen unseres iPhones kennen. Der Sinn dahinter ist einfach: Der Nutzer des neuen, unbekannten Geräts soll sich „zuhause“ fühlen, sich sofort zurecht finden. Nicht mehr verwendete Dateien können in den Papierkorb, Notizen schreibt man auf einem Notizzettel, also kann er auch so aussehen, wenn er nicht aus Papier besteht. Der Designer Sacha Greif nennt drei wichtige Punkte:

  • It helps tell these apps apart (“Find My Friends? Oh, right, the one with leather!”).
  • It makes the apps more approachable (“Hmm, this looks just like my real-world address book, it can’t be much harder to use”).
  • It gives Apple apps (and actually, iOS apps in general) a distinctive style (of course, that style will probably seem retro and kitsch in a couple years).


Sacha Greif

Mit anderen Worten: Es handelt sich weder um eine klar vordefinierte Entscheidung, sondern um eine Geschmacksache, die bei Apple bisher meistens zugunsten skeuomorphen Designs entschieden wurde. Es bleibt abzuwarten, in welche Richtung die neue Aufteilung der Konzernspitze Apple nun einlotet – das ist insbesondere in Bezug auf Apples zukünftigen Erfolg eine sehr wichtige Frage – und die „neue“ Führungsriege wird hier insbesondere auf unsere Meinung zurückgreifen müssen, die Meinung der Nutzer.


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