Test: Mailbox für iPhone – Revolution im Umgang mit E-Mails?

mz, den 11. März 2013
MailBox - Screenshot
MailBox – Screenshot

Ein gnadenloser Hype ist das, der den neuen iPhone-Mailclient „Mailbox“ umschwirrt. Eine lange Warteliste, auf der man landet, wenn man die App herunterlädt, tägliches Nachschauen, ewiges Warten: Alle wollen es und nur schrittweise kommt man dem Ziel näher. Im Review erfolgt die Antwort, ob das Ausharren lohnt.

Revolution?

Vor einem knappen Monat haben wir angekündigt: Mailbox ist da. Einmal heruntergeladen, zeigt sich der Startbildschirm mit der Meldung: „You’re on your way to a whole new inbox“ – sinngemäß übersetzt: Nicht mehr lange und du erlebst deinen Posteingang, wie du ihn noch nie zuvor gesehen hast! Bis dahin heißt es Warten, denn alles, was man zu sehen bekommt, sind zwei fünf- bis sechsstellige Zahlen. Die eine beschreibt die Anzahl an Personen, die vor einem freigeschaltet werden, die andere diejenigen nach uns. Dies geschieht, um dem Nutzer die bestmögliche Erfahrung zu bieten, sagen die Entwickler von Orchestra.

Nur Googlemail

Die App funktioniert derzeit ausschließlich mit Mailkonten von Google. Wer kein GMail hat, kann mit Mailbox nichts anfangen. Zu den Gründen später.
In kleinen Schritten werden nach und nach die gezogenen Nummern abgearbeitet, bei mir war es letzten Montag so weit. Die Werbung hat mir nicht das Blaue vom Himmel versprochen: Es ist ein völlig neuer Umgang mit der Inbox. Und der geht so:

Wer ein oder mehrere Google-Konten besitzt, kann diese in Mailbox einrichten. Über IMAP werden zunächst alle Nachrichten abgerufen und angezeigt. Wer viele Mails bekommt, ist erst einmal überfahren, denn die „neue Erfahrung“ rührt nicht etwa nur von innovativen Ideen der Entwickler her, sondern auch vom Umgang mit E-Mails in GMail-Konten.
Schon immer war dort etwas anders, die Rede ist von Labels statt Ordnern, von archivieren statt löschen.

Ich weiß nicht, wie es anderen geht. Ich jedenfalls habe bisher Mails, die ich nicht wollte, „archiviert“ (in Apple Mail auf dem Mac durch das Papierkorb-Symbol ausgelöst). Alle anderen blieben in der Inbox, als gelesen markiert. Kein Mailprogramm hat mir diese Mails noch per Badge angezeigt, sie galten als bearbeitet.

Einrichtung

Bei Mailbox ist das anders: E-Mails, die sich im Posteingangsordner befinden, demnach in der „Inbox“, sind nicht bearbeitet. Also sind sie noch da und stören. Sie „müssen“ ins Archiv. Alle 18000 „unbearbeiteten“ Konversationen, die mir die App nun, nach einigen Stunden des fortwährenden Auftauchens von Benachrichtigungen auf dem Home- und Lockscreen, als unbearbeitet anzeigte. Puh.

Am Ende der Liste taucht ein Button mit erleichternder Aufschrift auf: „Help me get to zero“. Oh ja! Meine Inbox schien mir plötzlich seit jeher starke Kopfschmerzen bereitet zu haben. Ich fühlte mich wie Johnny Depp in Las Vegas, „schlimme Wellen von Paranoia, Wahnsinn, Angst und Schrecken. Es herrschten unerträgliche Vibrations an diesem Ort.“ Ich musste etwas dagegen tun. Diese Schaltfläche war die Erlösung.

Danach war die App für einige Stunden kaum benutzbar. „Archiving messages“. Ich migrierte mein Uni-Mailkonto zu GMail, um vollends vom neuen System profitieren zu können. Noch einmal das Ganze. Wer bis hierher kommt, hat das Gröbste hinter sich. Die Mailbox sieht sauber und aufgeräumt aus.

Bedienung

Erreicht mich nun eine neue Nachricht, wird sie oben in der App angezeigt. Streiche ich darüber nach links, datiere ich sie auf später. Die Möglichkeiten sind hier „später“ (bei mir auf zwei Stunden eingestellt), „heute Abend“, „morgen Früh“, „Wochenende“, „nächste Woche“, „nächsten Monat“, „irgendwann“, oder „Datum“, woraufhin ein beliebiger Tag im Kalender ausgewählt werden kann. Die Mail verschwindet zunächst aus dem Posteingang, ist im Ordner mit dem Uhrsymbol zu finden, bis der gewählte Zeitpunkt erreicht ist. Dann erscheint eine Benachrichtigung auf dem iPhone und die Mail befindet sich wieder in der Inbox. So einfach ist das.

Ein längerer Fingerwisch bis zum linken Rand ermöglicht das Einordnen in besondere Ordner, die die App im GMail-Konto anlegt. Drei gibt es bereits, weitere lassen sich bei jeder Aktion neu einrichten, sofern nötig. Ich habe hier zum Beispiel einen Ordner für diejenigen Mails angelegt, die mit Einkäufen zu tun haben.

Ein Wisch nach rechts über die Mail bewegt sie ins Archiv. Sie ist weiterhin auffindbar, aber nichts, was noch zu bearbeiten wäre. Ein langer Wisch nach rechts löscht die Mail tatsächlich. Sinnvoll zum Beispiel für unerwünschte Werbung, wenn sie durchkommen sollte.
Am Ende der ganzen Wischerei dann die Erlösung: Inbox zero! Ein stilisiertes Postfach wird angezeigt, im Hintergrund ein hübsches Foto zur Belohnung. Das Foto wird jeden Tag erneut von Instagram importiert, ein hübsches kleines Gimmick.

Das Einstellungsmenü bietet nicht allzu viele Möglichkeiten. Es lassen sich Mailkonten hinzufügen und löschen, der Standardaccount sowie eine Signatur festlegen. Die über einen langen Wisch nach links erreichbaren Listen und die Zeitspannen zur späteren Wiedervorlage können bearbeitet werden. Bei den Benachrichtigungen kann der Nutzer sich aussuchen, ob er auf neue Mails, auf wiedervorgelegte oder auf beide hingewiesen werden möchte. Zu guter Letzt gibt es die Auswahl für das App Badge: Entweder wird eine „1“ angezeigt, wenn es neue Nachrichten gibt, oder die Anzahl der Konversationen in der Inbox. Alternativ lässt sich das Badge abstellen.

Praxis und Probleme

Das Gefühl ist toll. Was auch immer die tatsächliche Zeitersparnis oder die Erhöhung im Grad der Organisation eines E-Mail-Alltags ist: Es fühlt sich schön an, wenn man in einer aufgeräumten Benutzeroberfläche nur noch eine oder zwei, im besten Fall sogar keine E-Mail mehr und damit die Erfolgsmeldung „Inbox zero“ angezeigt bekommt. Dass man dieses Erfolgserlebnis dann über Twitter teilen kann, halte ich nur beim ersten Mal, wenn die Euphorie noch groß genug ist, für sinnvoll. Stattdessen kann man sich ansehen, wer das heutige Instagram-Bild zu verantworten hat.

Nach spätestens zwei Tagen war für mich klar: Das ist meine neue E-Mail-Lösung. Wie viel die neue Sichtweise bringt, muss jeder für sich entscheiden, ich bin jedenfalls sehr glücklich gerade mit der Wiedervorlagefunktion. Da ich nicht jeden Tag im Büro bin, kann ich mir die Mails auf diese Tage datieren und dann direkt im Büro abarbeiten. Schon in der ersten Woche merkte ich, dass ich weniger vergesse und mich besser auf andere Dinge konzentrieren kann.

Viel wichtiger als die persönliche Einstellung zur Mailbox-App sind allerdings Fehler, die bei der Benutzung auftreten. Hiervon gibt es leider momentan noch eine ganze Reihe, die ich im folgenden aufzähle:

  • Erreicht das iPhone eine Benachrichtigung über eine neue E-Mail und öffnet man entsprechend die App über die Benachrichtigung (aus dem Lockscreen oder einer anderen App heraus), wird die jeweilige Nachricht nicht geladen. Die Anzeige „Loading message“ verschwindet nicht, man muss zurück zur Übersicht und die Mail von dort öffnen. Das ist schonmal sehr unangenehm.
  • Legt das System eine Mail wieder vor (und hat man Benachrichtigungen für verschobene und neue Mails aktiviert), bekommt man zwei Benachrichtigungen auf einmal, sofern die Mail nicht zuvor als gelesen markiert wurde. Logisch und in der Natur der Sache, aber irgendwas müsste man daran noch ändern können.
  • Dateianhänge können nur sehr begrenzt innerhalb der App geöffnet werden. Dateitypen wie .jpg, .png, .doc und .pdf funktionieren im Regelfall. Ab und zu treten allerdings Probleme auf, denen ich noch nicht auf den Grund gekommen bin und es gibt nur die Auswahl, die Datei in einer anderen App zu öffnen.
  • Schlimmer: Öffnet man eine Mail mit einem Dateianhang, beginnt die App sofort, diesen zu laden – egal, welche Datei, wie groß diese ist und ob sie sie selbst anzeigen kann oder nicht. Für iPhone-Besitzer mit begrenztem Volumen äußerst unelegant.
  • Am Anfang beobachtete ich noch gehäuft das Phänomen, dass die App abstürzte, wenn zuviel Daten zugleich geladen oder gesendet werden. Da dieses mittlerweile nicht mehr so häufig geschieht, vermute ich, dass es an der begrenzten Serverkapazität gelegen hat.
  • Schließt man die App, bleibt das Badge auf der Zahl von vorher stehen. Damit auch das Badge die neue Situation in der Mailbox wiedergibt, muss die App noch einmal geöffnet und wieder geschlossen werden.
  • Das Badge zeigte – ebenfalls in der Anfangsphase – für mich nicht nachvollziehbare Zahlen an, wenn ich es auf die Anzeige der Konversationen eingestellt habe. Obwohl nur eine Mail im Eingang lag, zeigte das Badge „993“ an. Als ich die Mail verschoben hatte und App schloss, hieß es dann „994“. Es sind aber auch andere Situationen mit anderen Rechenfehlern aufgetreten. Jetzt, nach zwei Wochen, kann ich derartige Bugs allerdings ebenfalls nicht mehr reproduzieren.
  • Wer wie ich zwei Accounts eingerichtet hat, wird feststellen, dass nur im gesammelten Eingang schnell zwischen „Snoozed“, „Inbox“ und „Archived“ gewechselt werden kann. Befindet man sich innerhalb eines Accounts, fehlen oben die Schaltflächen und man kann nicht zwischen den Ordnern wechseln. Trotzdem werden alle Ordner in allen eingerichteten Mailkonten angezeigt (so kann man zumindest online oder im Mailprogramm auf dem Computer nachvollziehen).

Alles in allem einige schwere Bugs, die nun, nach etwa einem Monat, seit die App veröffentlicht wurde, noch nicht behoben wurden, denn ein Update gab es bisher noch nicht.

Integration mit GMail und dem Mac

Ich kann nur Erfahrungen über die Zusammenarbeit der Mailbox-App mit Apple Mail und GMail im Browser preisgeben, weil ich andere Systeme nicht benutze. Hier jedoch funktioniert bisher alles zu meiner Zufriedenheit. Auf der Mailbox-Homepage gibt es ein paar Anleitungen dazu, wie man Apple Mail und GMail am besten konfigurieren sollte. Hat man diese befolgt, treten keine weiteren Probleme auf.
Ich musste mir diverse Filter und Labels in GMail einrichten, damit bestimmte Newsletter und andere weniger wichtige Mails nicht im Posteingang landen, danach allerdings läuft alles wie geschmiert.

In Mail auf dem Mac kann man derweil natürlich nicht so komfortabel mit seinem Postfach umgehen. Alle eingerichteten Ordner lassen sich einsehen und verwenden, die auf dem iPhone eingestellten Termine zur Wiedervorlage wird man allerdings nicht finden. Hieran gewöhnt man sich aber ganz schnell. Selbst ohne das iPhone tauchen die Mails nämlich zu gegebener Zeit wieder auf, denn das Terminieren geschieht auf dem Mailbox-Server in Verbindung mit GMail.

Fazit

An der Stelle sei zunächst genug zur App gesagt. Wer spezifische Fragen hat, die hier noch nicht angesprochen wurden, kann die Kommentarfunktion verwenden. Ich bin jedenfalls sehr überzeugt von der App und nutze sie trotz der noch recht eklatanten Bugs bereits im Produktivsystem. Jedem, der bereit ist, GMail zu nutzen und/oder dorthin umzusteigen, kann ich nur empfehlen, sich Mailbox einmal anzuschauen. Die App ist kostenlos im App Store zu bekommen. Die Bewertung fällt aufgrund der Bugs noch nicht in den oberen Bereich. Wenn die Entwickler die Probleme in nächster Zeit lösen, habe ich aber an Mailbox nichts mehr auszusetzen.

Als Alternative bietet sich Taskbox an. Die App gibt es schon länger und seit kurzem in neuem Gewand mit prinzipiell denselben Funktionen. Dazu kommen aber noch weitere Features wie zum Beispiel die Möglichkeit, E-Mails als Aufgaben an andere zu delegieren. Taskbox ist im Gegensatz zu Mailbox allerdings nicht kostenlos, sondern schlägt mit 2,69€ zu Buche.


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