Flappy Bird: Wenn Erfolg verpflichtet

Alexander Trust, den 11. Februar 2014
Kommentar
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Vor Kurzem hat sich Dong Nguyen von dotGears dazu entschieden, das mittlerweile sehr erfolgreiche iOS- und Android-Game Flappy Bird aus den App Stores zu entfernen. Die Gründe dafür scheinen weniger komplex als die Situation selbst, denn Erfolg verpflichtet und so wie dieses Credo in den 2000er Jahren Spitzensportler wie Sebastian Deisler dazu zwangen, seine Fußballschuhe an den Nagel zu hängen, zog Nguyen jetzt die Reißleine. Morddrohungen gegenüber dem Entwickler und Ankündigungen von Fans, die sich das Leben nehmen wollen, zeigen wie explosiv dieses Erfolgsklima werden kann…

Flappy Bird

Doch gucken wir uns an, wie es dazu kommen konnte: Entwickler Dong Nguyen fertigt im Zeitraum von zwei bis drei Tagen das Spiel Flappy Bird und veröffentlicht es im Mai 2013 für das iPhone. Er habe das Spiel gänzlich eigenständig entwickelt und da seine Spiele grundsätzlich relativ simpel gestrickt seien, wäre nicht so viel Arbeitsaufwand nötig. Zudem würde er gerne Grafiken aus seinen Spielen immer mal wieder verwenden. Dong Nguyen schilderte dies Ende Januar in einem Interview. Die Figur aus dem Spiel sei schon 2012 entstanden, für ein Plattformspiel, das aber nie erschien, und Flappy Bird? Das Spiel hieß zunächst Flap Flap, musste dann aber umbenannt werden, da es bereits ein Spiel mit gleichem Namen im App Store gab. Den Vogel im Spiel nannte Nguyen „Faby“.

Rezeption

Als Flappy Bird veröffentlicht wurde, hagelte es zunächst durchwachsene Kritiken. In der Huffington Post wurde das Spiel als „irritierend, schwer und frustrierend“ charakterisiert. Außerdem nannte man dort die Steuerung unausgereift. Bei IGN wurde das Gameplay als eintönig beschrieben und Flappy Bird die Kreativität abgesprochen, es bekam nur eine Wertung von 5,4 von 10 Punkten. Sicher kann der Entwickler Nguyen damit leben, da er im erwähnten Interview gerade darauf verwies, dass „westliche Spiele“ deutlich zu komplex seien und an den Anforderungen der Spieler vorbeigingen. Er plädierte dafür, simplere Spiele herzustellen und zu lernen, was die Gamer wollen. Chris Reed von Slide to Play sprach dem Spiel die Abwechslung ab und schrieb darüber, dass es lediglich für kurze Zeit Spaß bringe, aber dann schnell langweilig würde.

Social Media

Wie kam es dann, Monate nach der Veröffentlichung, trotzdem zu dem riesen Erfolg? Twitter, Facebook, YouTube und andere könnten ein Grund für den Aufstieg des Spiels sein. Anfang Februar beobachtete Elaine Heney fast sekündlich neue Tweets über Reviews von Flappy Bird. Sie schreibt, dass es ihr bei ihrer Beobachtung so vorgekommen war, als gäbe es einen regelrechten Wettbewerb darum, wer den besten Test zu Flappy Bird veröffentlichte.

Doch selbst harsche Kritik kann ein Indikator dafür sein, dass etwas erfolgreich ist. Denn: Wo viel Feind, da viel Ehr‘. Ein virales YouTube-Video, das Flappy Bird als die größte Zeitverschwendung brandmarkt, lässt den Zuschauer mit dem Gefühl zurück, diese Einschätzung zu hinterfragen. In der Folge ist man geneigt, sich das Spiel selbst herunterzuladen.

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Äußerst verstörend hingegen wirken vermeintliche Anleitungen, wie man Flappy Bird deinstallieren soll, die in kurzer Zeit von rund einer Million Nutzern angesehen wurden und schon nicht mehr als Satire durchgehen.

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Manipulationsverdacht

Eine andere Seite der Medaille, die im Zuge des Erfolgs aufkam, ist der Manipulationsverdacht. Im schon angesprochenen Interview Ende Januar wird Nguyen darauf angesprochen, ob er irgendwelche Werbung und Promotion betrieben habe. Das hätte er nicht, antwortet der junge Vietnamese. Die mit dem Spiel verknüpften Social-Media-Accounts seien nicht seine eigenen und er könne sich glücklich schätzen. Doch als Flappy Bird im Mai veröffentlicht wird, sollen gerade ein, zwei tausend Downloads erfolgt sein, ehe das Spiel danach für eine Weile in der Bedeutungslosigkeit verschwand.

4. Februar 2014

Am 4. Februar werden die Vorwürfe und die mediale Berichterstattung über Manipulation in Form von Bots oder bezahltem Traffic konkret. Die Newsweek beispielsweise fragt, ob die iTunes-Wertungen für Flappy Bird manipuliert worden seien. Der britische Telegraph formuliert am selben Tag, ob Flappy Birds Erfolg zu gut sei, um wahr zu sein. Hunderte Webseiten auf der ganzen Welt schreiben an diesem 4ten Februar über genau dieses Thema. Der Newsweek-Redakteur Joe Kloc versucht Nguyen via Twitter zu kontaktieren. Dieser erbittet sich jedoch ein wenig Ruhe und, tut etwas, das man als ungeschickt bezeichnen könnte. Von Kloc gefragt, ob er die Statistiken zum Spiel manipuliert hätte, antwortet er:

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Sieben Monate nach der Veröffentlichung des Spiels stieg es auf einmal in den Charts nach oben. Außer einer besonders aktiven Nutzerschaft, so heißt es, kann eigentlich nichts dafür sorgen, dass das Spiel „dauerhaft“ auf Platz 1 rangiere. Flappy Bird ist zu der Zeit aber bereits zwei Wochen kontinuierlich auf Platz 1 der Top Free Apps im App Store zu finden. App-Designer Carter Thomas formulierte deshalb den Vorwurf, dass Dong Nguyen Bots genutzt haben muss, um die App-Store-Rankings zu erzielen.

Es ist derselbe 4te Februar, an dem dem vietnamesischen Entwickler bereits schwant, was da auf ihn zukommt. Auf Twitter schreibt er, dass die Presse den Erfolg seiner App überbewerten würde und er diesen nie gewollt habe. Man solle ihn in Frieden lassen.

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Plagiarismus

Zu den bereits geschilderten Vorwürfen der Manipulation gesellten sich wegen der Spielgrafik auch solche über Plagiarismus. Kotaku gehörte zu den Medien, die den Vorwurf als ersten formulierten. Die Schlagzeile lautete zunächst „Flappy Bird Is Making $50,000 A Day Off Ripped Art“, also zu Deutsch ungefähr: Wie Flappy Bird mit abgekupferten Grafiken $50.000 am Tag verdient. Nun muss man wissen, dass Kotaku nicht irgendeine Spieleseite ist, sondern eines der reichweitenstärksten Online-Magazine für Videospiele in den USA mit 7,1 Millionen Besuchern im Monat und über 12 Millionen weltweit. Das Magazin hat die Überschrift dieses Artikel bereits verändert in „Flappy Bird Is Making $50,000 A Day With Mario-Like Art„.

Kotakus Chefredakteur, Stephen Totilo, veröffentlichte mittlerweile eine Entschuldigung, die er mit „The Flappy Bird Fiasco“ überschreibt. Neben der Entschuldigung, die mehrfach im Artikel aufscheint, stellt Totilo darüber hinaus die Frage, warum man in der Redaktion nicht eher darüber nachgedacht habe, den eigenen Standpunkt zu hinterfragen. Selbst wenn man dachte, Flappy Bird sei durch Mario inspiriert, wäre es dann nicht trotzdem okay, das als positiv zu bewerten? Für die Zukunft kündigt Totilo an, dass so eine Verurteilung nicht noch mal passieren dürfe.

„Moreso, I regret not catching an article that didn’t make what I’d consider to be a clear or fair argument. Why shouldn’t a game creator riff off of classic game art? Why would a game have to be original? Why couldn’t it remix existing styles of graphics and play? Our writer failed to wrestle with that and so we failed our readers and Dong Nguyen with that piece. Our writers don’t have to agree with my opinions, but we all need to have ample nuance in our takes and I need to ensure that something like that doesn’t slip through again.“
Stephen Totilo

Abgesehen von unzumutbaren Unmutsäußerungen von Mario-Fans auf Twitter, erzeugte die Debatte um möglichen Plagiarismus so viel Wirbel, dass sogar Nintendo ein Statement gegenüber dem Wall Street Journal abgab und die Behauptung verneinte, es handele sich um ein Plagiat.

Smartphones zu Höchstpreisen

Eine weitere Facette dieser Geschichte um Flappy Bird ist der Versuch von ersten Nutzern Erfolg aus dem Niedergang zu schlagen. Nach dem Ende von Flappy Bird haben Nutzer begonnen, ihre Smartphones und Tablets inklusive Spiel zu verkaufen und höchstbietend zu versteigern. Bei eBay in den USA gibt es schon jetzt 54 Auktionen, in denen iPhones oder Samsung Smartphones für teilweise mehrere tausend US-Dollar angeboten werden, nur weil auf ihnen Flappy Birds installiert ist.

Doch wir können auch vor unserer eigenen Haustür kehren, denn bei eBay in Deutschland werden sogar 404 Auktionen gelistet, mit teils ähnlich horrenden Preisen für Geräte, bei denen den Verkäufern hoffentlich klar ist, dass sie ihren iTunes-Account unachtsamerweise gleich mitverkaufen könnten.

Auf Erfolg folgt Druck

Flappy Birds Erfolg lässt sich auch in Zahlen ausdrücken: Die Gratis-App setzte auf In-Game-Werbung und erzielte laut The Verge täglich rund $50.000 Umsatz. Zu diesem Zeitpunkt ist die App weltweit 50 Millionen mal heruntergeladen worden und hat über 47.000 Bewertungen im App Store erhalten, genauso viele wie Apps wie Evernote oder Gmail.

Dass es ihm aber nicht ums Geld geht, hat Nguyen bereits öffentlich gemacht. Auf Twitter wurde ihm von einem Nutzer der Vorschlag gemacht, er könne doch eine Option einbauen, um das Spiel via In-App-Kauf für einen kleinen Betrag werbefrei anzubieten, dann könnte er auf der Stelle noch viel mehr Geld machen. Er sei zufrieden antwortete Nguyen.

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In den darauffolgenden Tagen wird, angetrieben durch die mediale Diskussion, der Druck auf Nguyen immer größer, die Anfragen häufiger, die Vorwürfe immer lauter, und der jugendliche Spieleentwickler fühlt sich überfordert. Er nennt Flappy Bird am Morgen des 8. Februar einen Erfolg, doch genau dieser würde sein „normales Leben“ ruinieren, weshalb er das Spiel hasse.

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Am Abend desselben Tages, gegen 20 Uhr, erfolgt dann die Ankündigung, dass Nguyen die App 22 Stunden später nicht mehr anbieten würde. Nguyen begründet dies damit, dass ihm der Druck zu groß geworden sei:

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Die Antwort, warum Nguyen Flappy Birds aus dem App Store entfernte ist also ziemlich eindeutig: Dem Entwickler wurde der Druck einfach zu groß, und er hat nicht mehr genügend Zeit für sein Privatleben gehabt, da die App und Updates ihn auf Trab hielten. Trotzdem gibt es viele Medien und Nutzer, die das nicht nachvollziehen können.

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Morddrohungen?

Das naive Unverständnis für die Entscheidung Nguyens wird vielleicht dann aufgehellt, wenn man sich das Verhalten von Nutzern seines Spiels anguckt und im Hinterkopf hat, wie schnell ein Shitstorm losbrechen kann und wie wenig Rücksicht die Leute in ihren Meinungsäußerungen nehmen, egal worum und egal gegen wen es geht.

Wie ernst gemeint diese Drohungen sind, von denen Eli Langer einige gesammelt hat, muss man jedoch im Einzelfall überprüfen. Denn bei Stichproben sind mir bereits Nutzer untergekommen, die ihre Drohung als Sarkasmus verstanden wollen wissen:

Garstiger sind hingegen implizite Vorwürfe, die Nguyen persönlich diskreditieren und ihn auffordern, sich einen Strick zu nehmen.

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Wenn man das alles einmal sacken lässt, kann man die Entscheidung Nguyens sicherlich nachvollziehen. Zum Glück lässt sich Nguyen aber nicht ganz von seiner Passion abbringen und verspricht, dass er weiterhin Spiele entwickeln will.

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