Kommentar: Affentanz um Vorratsdatenspeicherung

Alexander Trust, den 19. Mai 2015
Rechenzentrum
Rechenzentrum, Foto: Alexander Trust

Ein kleiner Teil der Netzgemeinde, der sich mit dem Thema befasst, schreibt regelmäßig und seit Jahren negativ über die Ambitionen der Politik, die Vorratsdatenspeicherung (VDS) einzuführen. Stattdessen sollte man die Nutzer ermuntern sich „effektiv“ zur Wehr zu setzen: zum einen bedeutet dies, die Nutzer medienkompetent genug zu machen, damit sie wissen, was sie tun. Zum anderen heißt es Software-Lösungen vorzustellen, die der VDS auf der Nase rumtanzen.

Es ist ein wenig wie mit kleinen Kindern – wenn die etwas wollen, quengeln sie solange, bis sie es bekommen, vorausgesetzt, sie haben Eltern, die klein beigeben. Zwar haben Instanzen wie das Bundesverfassungsgericht 2010 oder der EUGH 2014 wiederholt zum Ausdruck gebracht, dass sie mit dieser Art der Daten-Sammelleidenschaft nicht in jedem Fall und nicht in jeder Art und Weise einverstanden sind, doch lässt die Politik nicht davon ab, trotzdem eine VDS einführen zu wollen. Papier ist geduldig, und was unter dem Strich passiert, muss niemanden etwas angehen. In etwa so wie beim Ausspionieren durch den BND.

Viel zu viel Gemecker

Grundsätzlich teile ich die Einstellung vieler Gegner der Vorratsdatenspeicherung. Doch bin ich der Auffassung, dass in diesem Fall ganz andere Strategien notwendig sind als Meckern, und zwar aus zweierlei Gründen. Der eine hat mit „uns“, den Internet-Nutzern selbst, zu tun, der andere mit der Perspektive auf diese Angelegenheit.

1) Konsument: „Ich hab doch nichts zu verbergen“

Man kann es den Leuten in den Kopf hämmern wollen, sie werden trotzdem regelmäßig zu Protokoll geben: „Ich hab doch nichts zu verbergen!“ Die Nutzer von Sozialen Netzwerken wie Facebook, Instagram, Twitter und Co. breiten mitunter ihr ganzes Leben darin aus. Das haben manche jedoch schon deutlich früher getan. Mit der Einführung von Blogs nämlich. Als es die Möglichkeit gab, mit wenig Aufwand, eine eigene Internetseite zu betreiben, haben viele Personen ihrem Drang nach Geltungssucht nachgegeben und spontan Dinge preisgegeben, die sie später womöglich bereut haben. Ganz arg hapert es in diesem Kontext an der Medienkompetenz der Nutzer, die man schulen muss, am besten schon „in“ der Schule.

Man muss keine Horror-Videos zeigen, bei denen ein Smartphone-Nutzer vom Bus überfahren wird und am Ende nur noch ein Haufen Blut und Gedärme ist. Es würde ausreichen, eine Schulklasse in Gruppenarbeit auf moderne Archäologie-Reise im Internet zu schicken, und zwar jeweils im Namen eines anderen, quasi eine Art digitalen Stasi-Auftrag zu erteilen. Die Leute würden sich wundern, was man alles über sie in Erfahrung bringt. Gerade dieses Wundern hat zu dem Geführt, was wir heute als das „Recht aufs Vergessen“ kennen. Google muss zu bestimmten Suchworten Ergebnisse in lokalen Suchindexen rausfiltern, wenn eine entsprechende Beschwerde verifiziert wurde. Solche Beschwerden gibt es in den Hunderttausenden und mehr als 40 Prozent davon wird derzeit stattgegeben.

Ich selbst könnte Beispiele zitieren, in denen mir Prügel angedroht, oder der Anwalt als drohendes Damoklesschwert erhoben wurde, weil ich aus Blogs oder von Facebook- und StudiVZ-Seiten Zitate veröffentlichte, die wohlgemerkt für jedermann frei zugänglich waren. Vor allem wenn es darum ging, dass manche Jugendliche Suizidgedanken äußerten, Drogen konsumierten, sich frauen- oder fremdenfeindlich äußerten, wurde „mir“ die eigentlich eigene Naivität der Nutzer später umgekehrt zum Vorwurf gemacht, anstatt dass die Personen erkannt hätten, dass sie selbst diese Informationen vollkommen öffentlich preisgegeben haben.

Es gibt im Internet Beiträge, in denen Fotos von Kreditkarten samt Nummer und Name veröffentlicht wurden, weil Nutzer sich so darüber freuten, ihre erste Kreditkarte erhalten zu haben. Sie öffnen Angreifern Tür und Tor. Und wenn man darüber hinaus noch den passenden Haustürschlüssel nachmachen wollte, hat man in manchen Fällen ebenfalls Glück als Einbrecher, weil sowohl Ort als auch hochauflösendes Foto des Schlüssels veröffentlicht wurden. Über Dienste wie Foursquare teilen viele unbeabsichtigt mit, dass sie gerade außer Haus sind. Sport-Fans geben gerne damit an, wie viele Kilometer sie gerade gelaufen sind, vergessen dabei aber, dass man mithilfe der Daten einen Rhythmus ausmachen kann und eventuell sogar ihren Wohnort zurückverfolgen. Dienstags läuft er immer 10 Kilometer? Also dann brechen wir doch dann seine Wohnungstür auf. Wann würde es sich lohnen einzubrechen und relativ unbemerkt zu bleiben? Wohl dann, wenn man auf Facebook mitgeteilt bekam, dass Mister X gerade zwei Wochen in der Sonne weilt und nicht zu Hause ist.

Fakt ist: Wir wissen gar nicht, was für Informationen wir alle selbst preisgeben. Dieses Bewusstsein muss man schärfen. Denn das ist deutlich wichtiger als die ständige Kritik an der VDS. Je weniger Hinz und Kunz heraus posaunen, desto weniger kann überhaupt erst aufgesammelt werden.

Der Arbeitgeber kündigt einem, weil man zu geschwätzig auf Facebook war, die Krankenversicherung zahlt nicht, oder wirft einen aus der Versicherung, weil man über Fitness-Apps dokumentiert, dass man ein fauler Sack ist, oder weil man zur Schau stellt, dass Alkohol und rotes Fleisch zum Alltag gehören. Nicht in jedem Fall sind diese Szenarien bereits Realität, in manchen aber schon. Die Nutzer müssen offenbar noch viel häufiger – pardon – „auf die Fresse fallen“, bevor ihnen bewusst wird, womit sie es zu tun haben.

Genauso ist es mit den Verbindungsdaten, die Auskunft darüber geben, wann und wo jemand mit wem telefoniert und kommuniziert hat. Doch auch solche Verbindungsdaten sind, wie zum Beispiel viele Raubkopierer wissen, die ihre Spuren beim Download von urheberrechtlich geschütztem Material verschleiern, durchaus zu verbergen.

2) Verbieten oder verbergen?

Wie Don Quichotte gegen Windmühlen kämpft, so muss man sich den Kampf der vielen Netzpolitik-Aktivisten vorstellen gegen die Vorratsdatenspeicherung. Zumal man Nutzer gegen eine „latente“ Gefahr sensibilisieren muss, die man nicht sieht, geschweige denn vollumfassend versteht (vgl. Punkt 1).

Deshalb stellt sich für mich die Frage, muss man überhaupt die ganze Zeit darauf drängen, dass eine VDS verboten gehört, oder sollte man nicht lieber dafür Sorge tragen, dass der „gemeine“ Internetnutzer sich dagegen schützt, indem er seine Daten verbirgt. Verschlüsselung ist dabei nur eines von vielen Stichwörtern, das meiner Meinung nach deutlich zu wenig betrachtet wird, auch von der Industrie und von den Start-ups dieser Welt.

Wie heißt es so schön? Wenn der Berg nicht zum Propheten kommt, muss eben der Prophet zum Berg gehen. Wir brauchen „einfache“ und vor allem „einfachste“ Software- und vielleicht sogar Hardware-Lösungen, die den Nutzer in die Lage versetzen, sich gegen eine VDS zu schützen. Wenn die Politik gerne Petabyte-weise Daten sammeln möchte, ja dann lasst sie doch. Denn wenn sie am Ende gar nichts damit anfangen kann, weil wir ihr nur verschlüsselten Kauderwelsch überlassen, wird sie gefrustet davon ablassen. Oder aber sich die Zähne daran ausbeißen. Wenn sich die Gemeinde der Gegner einer VDS nur ein wenig so verhalten könnte wie Hacker oder Raubkopierer, dann wäre das ein Rennen zwischen Hase und Igel, in dem am Ende die Politik immer nur reagieren kann. Denn letztlich müssen Unternehmen, die ihr Urheberrecht schützen wollen, feststellen, dass sie immer nur Lücken stopfen, aber die Ursachen nicht in den Griff bekommen. Was nicht bedeutet, dass ich dieses Treiben gutfinde. Einzig diesen Elan müsste die Bewegung an den Tag legen, damit man immer im Vorsprung gegenüber den Datensammlern wäre. Denn aktuell hat die Politik die Aktivisten abgehängt.


Ähnliche Nachrichten