Was, wenn wir uns an die Simulation gewöhnen?

Alexander Trust, den 5. März 2008
Noam Chomsky
Noam Chomsky, Foto: Hans Peters / Anefo via Wikimedia (CC-BY-SA-3.0).

In der Wissenschaft gab es lange Zeit ein Paradigma, demzufolge Bedeutung im Geist entwickelt wird, oder dort entsteht. Dieses Paradigma wurde unter anderem im Kontext des „linguistic turn“ noch verschärft. Es lädt dazu ein, sich die Frage zu stellen, was passiert, wenn wir uns an die Simulation gewöhnen?

Zur Vorgeschichte: Man nahm an, dass Bedeutung und unsere Welt nur durch den Gebrauch von Sprache entstünde. Sprache war „unhintergehbar“, und der einzige Zugriff auf die Welt, den wir hatten war sprachlich fixiert. Dabei ging ein ganzer Zweig der Disziplin zunächst davon aus, dass wir im Gehirn/Geist entsprechende Abbilder von dem bereits zur Verfügung hätten, die wir nur noch abrufen und nach gewissen Schemata zusammensetzen brauchten (vgl. z. B. Noam Chomsky). Wir sind heute wieder von diesen Annahmen fortgekommen und nehmen im Gegenteil an, dass Bedeutung im praktischen Umgang mit den Dingen selbst entsteht. Wie unterscheidet sich dahingehend die Simulation von der Realität?

Simulation hat andere Qualität

Die Kybernetik, die KI-Forschung und andere Disziplinen trachten schon einige Zeit danach, die geistige Leistung und die maschinelle Ressource einander anzugleichen. Die Akteure haben die Hoffnung, eines Tages Computer zu produzieren, die das menschliche Gehirn nicht nur simulieren, sondern in seiner Leistungsfähigkeit überbieten. Bislang hat man das Gefühl, dass die Simulation nicht in der Qualität an die Realität heranreicht. Doch das wird nicht auf Dauer so sein.

Realismus kulturell bedingt

Nicht erst seit Nelson Goodman wissen wir, dass Realismus eine variable Kategorie ist. Sie hat nach Goodman nichts mit Ähnlichkeit zu tun. Was wir als realistisch empfinden, oder nicht, hängt stark vom kulturellen Kontext ab, in dem wir aufwachsen. Was realistisch ist, hat sich mit Blick auf die Geschichte verändert; es läuft ein Gewöhnungsprozess ab.

Werden wir uns an die Simulation gewöhnen?

Wir kennen die Fotografie. Bei der Beschäftigung mit dem Medium stellen wir fest, dass sie uns etwas zeigt, was eigentlich nicht der Realität entspricht. Die Technik der Fotografie macht sich u. a. Elemente der Zentralperspektive zunutze (wie in der realistischen Malerei). Die geometrischen Verhältnisse einer Fotografie eines hohen Gebäudes entsprechen nicht denjenigen, die wir als Mensch mit der Kombination von Auge und Gehirn wahrnehmen, wenn wir selbst vor dem Haus stehen würden. Wir werden durch das Foto ausgetrickst. Wenn wir nicht darüber Bescheid wüssten, wären wir nicht in der Lage, den Betrug an unseren Sinnen festzustellen.

Simulation gewöhnungsbedürftig

Entsprechend glaube ich, dass wir uns eines Tages an die Simulation gewöhnen werden. Wir werden die Qualität der Simulation nicht mehr von der wirklichen Umwelt unterscheiden können. Das sind Prozesse, wie sie über Jahrtausende immer gleich ablaufen. Das führt zwangsläufig in eine Utopie, wie man sie zum Beispiel im Film Matrix erwähnt findet. Die simulierte Parallelwelt, von der wir nicht merken, dass sie nicht echt ist.

Zum einen neigen wir dazu, uns an Dinge zu gewöhnen, selbst wenn wir sie bei ihrer Einführung erst abzulehnen scheinen. Das war gut bei den ersten Kinovorführungen erkennbar, als Menschen noch schreiend aus dem Saal rannten, weil sie dachten, der Zug würde auf sie zufahren. Zum anderen produzieren wir auf der Suche nach der perfekten Simulation (der Illusion) derart viel Gebrauchsmaterial, damit wir überhaupt erst in die Lage versetzt werden, uns daran zu gewöhnen.

Ich bewerte diese Vorgänge nicht, sondern stelle sie lediglich fest und glaube, dass unsere Vorstellungen von der Zukunft sich oftmals eben nur selbst erfüllen können, weil wir so viel Energie darauf verwenden, sie eintreten zu lassen.

Es ist nicht einmal gewagt, zu formulieren, dass Dinge wie körperloser Geschlechtsverkehr (Cybersex), der den echten ersetzt, eines Tages den derzeitigen Status Quo substituiert.


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