Kolumne: Treehuggin Pussies

rj, den 9. Oktober 2010

Kein Exklusivdeal der Telekom mehr mit Apple, ein irgendwie bauchgelandetes Apple TV 2, Malware auf Android-G2-Smartphones: einiges passierte diese Woche im Technikland, ich würde gerade trotzdem lieber ein paar Bäume knuddeln gehen. Auch, aber nicht nur wegen Stuttgart 21.

Dem Volk kann man schon mal die Augen mit Reizgas rausschießen, die Entscheidungsträger betten sich derweil auf flauschigem Filz. Manche sind gleicher als die anderen, aber die unteren Gleichen kriegen immerhin inzwischen in schöner Gerechtigkeit alle aufs Maul, nicht nur die Linksextremisten. Es hat ja durchaus was, wenn das schwäbische Bürgertum seine ersten eindrücklichen Demoerfahrungen macht.

Aber dank Apple und Google können wir nun zurückerkennungsdiensten: Enno wies mich drauf hin, dass Google Goggels durchaus emanzipatorisches Potential hat. Gesichtserkennung via iPhone, passt doch. Merke: nicht die Technologie per se ist gut, schlecht, staatstragend oder demokratisierend, es kommt immer drauf an, wer was damit macht und wem sie zur Verfügung steht.

Wenn also das nächste Mal das Volk sein „Liquid Feedback“ kriegt: zurückfotografieren. Aber drandenken: ein iPhone sollte im Demoumfeld besser in die Otterbox, Nässeschäden wickelt Apple bekanntermaßen nicht als Garantiefall ab.

Auch an einer anderen Front macht die Politik einmal mehr Quote. Die Freifrau, die einmal mehr besser die Fresse halten sollte, darf auf RTL 2 „Kinderschänder jagen“. Schmierige Gestalten auf schmierigen Sendern mit schmierigen Themen, da wächst zusammen, was zusammengehört. Wer die Deutungshoheit im kritischen Netzdiskurs verliert, weil Kompetenz und Sachargumente fehlen, muss eben auf die Dreckschleudern ausweichen. Während die Freiherrin ihre wirre Propaganda bei RTL verbreiten darf, verteidigt ihr Gatte Deutschlands Freiheit am Hindukusch. Die ist indes ganz woanders in Gefahr, aber die Prioritäten, die Prioritäten.

So darf die Freifrau vor laufender Kamera Kind im Netz spielen und einen der 500.000 (BILD) potentiellen „predators“ alleine in Deutschland anbaggern, und mit ein wenig Glück und Verführungscharme kommt sie dann zu Date und wohlfeiler Empörung. Schneller und einfacher geht das auch mit dem iPhone, für das mir die Pressemitteilung zu den nun kostenlosen Sexualtätern ein Lachen ins Gesicht zauberte. Hol auch du dir deinen Gratis-Sexoffender!

Leute dafür anzuprangern, was sie möglicherweise machen hätten können – wem fällt da nicht Precrime und Minority Report ein. Der Film ist nicht nur eine weitere gelungene Verfilmung einer Kurzgeschichte des außerordentlich empfehlenswerten Philip K. Dick, sondern auch eine jener Technologieprojektionen, die durchaus Potentiale haben. Die 3D-Holobedienungen aus Minority Report haben möglicherweise auch eine Designstudie eines sehr zukünftigen iPhones inspiriert, das vielleicht nur aus Markenrechtsgründen nicht „iPhone Palm“ getauft werden kann.

Ist die Zeit schon reif für projizierte Bedienungsoberflächen? Tastaturkonzepte gab es in der Art ja bereits, ansonsten beschränkt sich die bildschirmfreie Darstellung auf Inhalt statt UI. „Videobeamer anstelle von Tapete“, war das nicht Blumentopf? In einer Zeit, als Hiphop noch politisch war?

Wo bleibt das Positive? 10.000 ist eine runde Zahl, und so viele Bilder haben wir mit Macnotes inzwischen mit mygallery ins Web geworfen. Passenderweise hab ich auf Bild No.10K mich und die Macnotes-Betreiberfirma Fliks verewigt, ich schwöre, es war keine Absicht! Ansonsten ist mygallery die kleine Schwester von iTunes, will heißen, auch mygallery kommt direkt aus der Hölle.

Was ist noch so gewesen? T-Mobile spielt in den USA Rootkits auf ihre G2-Androids auf. Ach, freie Plattform Android, was ist nur aus dir geworden. Überhaupt, Internet, Gadgets, Rechner, all dieser Netzkram. Man will es gelegentlich einfach flächendeckend ausschalten und stattdessen Bäume im Nebel bekuscheln. Es muss am Herbst liegen. Der bereits im Teaserimage und auch ansonsten von mir höchst verehrte Max Goldt schrob dereinst, der „…Frühling piepst wie eine Digitaluhr, der Herbst ist die Glanzzeit bewährter Mechanik.“ Herbst, wir sind gerne Gast in deinem Mantel. Letztens ertappte ich mich dabei, mit der Hand in der Jackentasche nicht etwa an meinem iPhone herumzuspielen, sondern an einer Kastanie. Es muss am Wetter liegen, irgendwie stimmts mich milde.

Offenbar nur mich. Die üblichen Akteure im Techgeschehen scheinen trotz anbrechender kühler Jahreszeit hitzköpfig wie eh und jeh. Nach den jüngsten Patentkloppereien verklagen sich praktisch alle Big Player aktuell gegenseitig. Schön visualisiert hat das designlanguage.

Aber weil ich eigentlich schon von dem ganzen Technikkram wohlweislich abgeschwiffen bin, heute ein ganz ganz besinnlicher Rausschmeißer. An sich hätten sich ja die Beatles angeboten, schließlich wäre John Lennon heute 70 geworden. Lennons Friedens- und Atheismusphantasien sind mir aber ein wenig zu hoch gehängt, insbesondere im Kontext des immer wieder gern von mir bemühten Bonmots, dass Hoffnung Mangel an Information sei. Deswegen Gustav mit der freundlichen Anregung, die Welt ein wenig besser zu machen. Und seid ihr eures Lebens müde, legt Hand an euch und macht Schluss.

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Schönes Wochenende.


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