Kommentar: Warum Apple doch Start-ups hervorbringt

Alexander Trust, den 8. Juni 2015
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Es hat wenig mit schlechtem Journalismus zu tun, sondern vor allem mit Naivität, wenn Redakteure nicht in der Lage sind, ihren eigenen Horizont zu überblicken. Dies geschieht dort draußen sehr oft, nämlich dann, wenn in einem langen Feature oder auch nur einem kurzen Nachrichten-Artikel Leute zu Wort kommen und man deren Perspektive versucht als Wahrheit zu verkaufen, ohne dabei ein umfassendes Bild zu zeichnen, geschweige denn die andere Seite zu Wort kommen zu lassen. So geschehen von Julia Love, die die Behauptung aufstellt, Apple würde zu wenig Start-up-Gründungen hervorbringen.

„Warum bringt Apple so wenig Start-ups hervor?“

Apple sei kein Ort, an dem kreative Start-ups groß werden können, versucht Julia Love von den San Jose Mercury News zu behaupten. Sie geht der Frage nach, warum Apple so wenig Start-ups hervorgebracht hat. Der Aufhänger für Loves „Geschichte“ sind Statements von ehemaligen Apple-Mitarbeitern, manche von denen man sagen kann, dass sie genau das Gegenteil dessen zeigen, was Love eigentlich damit aussagen möchte.

Der erste von ihnen ist Matt MacInnis, der davon spricht, dass er schlechte Gewohnheiten hatte, als er von Apple wegging. MacInnis ist der Gründer von Inkling, einer Plattform für das digitale Publishing im Smartphone-Zeitalter, zu dessen Kunden gehören Firmen wir KPMG, Roche oder der Finanzdienstleister McGraw-Hill. Wenn also die Mercury-News-Redakteurin MacInnis als negatives Beispiel zitieren zu versucht, muss man sie genau daran erinnern, um ihr zu zeigen, dass ihr „Zeuge“ für ihren Fall gar nicht taugt.

„MacInnis‘ experiences illustrate some of the peculiar baggage that Apple entrepreneurs carry with them into the world beyond.“
Julia Love

Jaron Waldman wird ebenfalls zitiert, der 2013 Apple als junger Elternteil verließ. Weil er wenig Zeit hatte, wollte er das Einkaufen beschleunigen. Herausgekommen ist die App Curbside, mit der Konsumenten im Einzelhandel einkaufen können, ohne das eigentliche Geschäft betreten zu müssen. So gibt es bei manchen teilnehmenden Geschäften neben einem Abholpunkt sogar eine Art „Drive-in“-Schalter, an dem man wie bei McDonalds vorbeifährt und seine vorher bestellten Waren ausgehändigt bekommt. Auch Waldman ist ein positives Beispiel, und wird von Love sogar so wiedergegeben. Kunden von Curbside seien zufriedene Kunden, und diese Lektion habe er bei Apple gelernt, das sehr viel Wert auf Kundenzufriedenheit legt.

Vorwürfe gegen Apple

Trotzdem muss man in Julia Loves Beitrag immer wieder Vorwürfe in Richtung Apple lesen. Die Firma würde keine großen Akquisitionen betreiben, weshalb keine „ernsthaften Unternehmer“ in der Belegschaft versammelt seien. Apples gute Bezahlung sei außerdem ein Hemmnis für kreative Köpfe, die sich zwischen der Sicherheit bei Apple und der eigenen Verwirklichung zu entscheiden hätten. Es ist eine krude Welt, wenn man jemandem einen Strick daraus dreht, dass er seine Mitarbeiter gut bezahlt. Doch Mark Kawano, Vater zweier kleiner Kinder, tat genau das. Er gab die Sicherheit auf und gründete ein Start-up. Ihn nimmt Love als Zeugen für ihr Argument, obwohl Kawano doch genau das Gegenteil beweist, dass die finanzielle Sicherheit kein Hemmnis sein muss. Kawano gründete Storehouse, eine Firma mit der gleichnamigen App, mit der man Fotos und Videos so arrangieren kann, dass man mit ihnen eine Geschichte erzählt, um sie mit Freunden zu teilen.

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Als Beleg für Julia Loves Behauptung, Apple würde zu wenig Start-ups hervorbringen dient tatsächlich die Einschätzung von Venky Ganesan vom Risikokapitalgeber Menlo Ventures. Laut diesem seien „konkrete Zahlen“ nur schwer zu beziffern, trotzdem „schätzt“ dieser, dass Apple 50 Prozent weniger Start-ups hervorgebracht hat als Google, Yahoo oder PayPal. Nur um an der Stelle im Text zu erwähnen, dass das Start-up Nest, das von den ehemaligen Apple-Ingenieuren Tony Fadell und Matt Rogers mitgegründet wurde, ja von Google übernommen worden sei.

Spätestens an dieser Stelle hätte Love für einen Moment darüber nachdenken sollen, was es eigentlich heißt, dass „Google“ ein Apple-Start-up aufkauft. Denn obwohl Google vor allem Geld mit Werbung verdient, ist Android eines der größten Geschäftsfelder und zugleich die größte Konkurrenz für Apples iOS. Android ist? Richtig, ein Apple-Start-up. Das heißt, wenn man Android-Gründer Andy Rubin als Apple-Ingenieur anerkennt.

Wer bekommt die Lorbeeren?

Denn an dieser Stelle zeigt sich prima, wo eigentlich ein großes Problem in der Beurteilung der Frage liegt, welche Firma denn jetzt verantwortlich ist für die Gründung eines Start-ups durch einen ehemaligen Mitarbeiter. Android-Gründer Rubin arbeitete bei Apple von 1989 bis 1992. Davor war er drei Jahre bei der Carl Zeiss AG beschäftigt. General Magic, das zunächst innerhalb Apples entstand und 1990 ausgegliedert wurde, bezahlte ebenfalls drei Jahre lang den Gehaltsscheck Rubins. Doch danach wechselte Rubin zu MSN TV und gründete dann Danger und später Android. Die meiste Zeit hat er folglich bei Apple oder Apple-nahen Firmen gearbeitet, bevor er zwei Start-ups gründete. Danger wurde von Microsoft aufgekauft, Android von Google. Bis 2014 arbeitete Rubin noch bei Google, ist jetzt Vorstand eines Hardware-Inkubators, der Start-up-Gründungen helfen soll.

Wer ist nun für den Erfolg Rubins und die Gründungen verantwortlich? Und wer ist es bei der Social-Network-App Path? Denn drei Jahre arbeitete Mitgründer Dave Morin bei Facebook, doch davor arbeitete er ebenfalls einige Jahre bei Apple. Hat nun Apple ihn mehr beeinflusst oder Facebook? Oder beide? Vielleicht hätte Julia Love ihn fragen sollen, doch das hat sie vermieden, weil sie vielleicht gar nicht wusste, dass Morin für Apple gearbeitet hat.

„Bei Apple kann man keine Netzwerke aufbauen“

Ganesan vom Risikokapitalgeber ist es auch, den Love mit dem Argument zitiert, „manche“ Apple-Mitarbeiter würden das Netzwerken erst anfangen, wenn sie die Firma verließen. Das würde sie im Vergleich zur Konkurrenz benachteiligen. Wir müssen also dem Wort Ganesans glauben, der selbst keine „konkreten Zahlen“ von Start-up-Gründungen ehemaliger Apple-Mitarbeiter nennen kann, aber willfährig behauptet, dass das Netzwerken bei Apple für manche erst später beginnt. Schon die vage Einschränkung macht es unmöglich, dies als aussagekräftiges Argument zu verstehen. Wie viele sind „manche“? Und heißt das die Mehrheit, oder die Minderheit? Wenn letzteres der Fall wäre, hätte Love abermals kein Argument für, sondern gegen ihre These gebracht.

Kann man bei Apple etwas lernen?

Auch Andy Miller, Lars Albright und Eswar Priyadarshan, die ihrerseits gemeinsam als Start-up Quattro Wireless von Apple aufgekauft wurden, werden von Love erwähnt, weil sie heute wieder eigene Start-ups gegründet haben.
Priyadarshan gründete Tasteful, ein Netzwerk für Liebhaber gesunder Ernährung. Eine Veröffentlichung ist die App „Paleo Digest“, die Rezepte nach der Steinzeitmethode bereithält, die derzeit im Trend liegt.

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Albright gründete SessionM, eine Plattform, die Anbietern von Apps helfen soll durch ein Belohnungssystem die Aktivität der Nutzer hochzuhalten, die dafür mit mPoints belohnt werden.

Sowohl Miller, also auch Albright und Priyadarshan haben von Apple Positives mitgenommen, sowohl in Bezug auf Design-Fragen, aber auch dass man sich bei der Arbeit fokussieren müsse und die Produktvorstellung minutiös planen. Priyadarshan wartete mit der Produktvorstellung seiner Paleo-App, bis zeitgleich eine große Paleo-Konferenz stattfand. Albright zufolge sei der Erfolg bei Apple vor allem harter Arbeit und Fleiß geschuldet. Das versucht Love wiederum negativ umzudeuten, indem sie schreibt, dass Albright seinen Glauben an den Mythos Apple verloren hatte, weil er mitbekam, wie sich die Mitarbeiter selbst vor Produktvorstellungen auf Keynotes, ähnlich Leistungssportlern, lange darauf vorbereiteten. Nicht Alles ginge bei Apple wie von Zauberhand „magisch“, sondern beinharte Arbeit sei dafür notwendig. Überhaupt: Welches Ziel verfolgt eine Aussage, man müsse bei Apple hart für den Erfolg arbeiten, wenn es um die Frage geht, warum so wenig Start-up-Gründungen aus der Firma entstehen? Diese Frage hat Love meiner Meinung nach schon zu Beginn ihres Artikels völlig aus den Augen verloren und kann deshalb keine klare Antwort darauf geben.

Start-ups von Apple-Mitarbeitern

Neben den Start-ups, die Love selbst erwähnt hat, möchte ich an dieser Stelle nun noch eine Reihe weiterer aufzählen, die die Redakteurin vergessen hat. Ich weiß, dass diese Liste nicht vollständig ist, doch darum geht es gar nicht.

BGRs Zach Epstein nennt 2014 das Start-up „Moov“ die Zukunft der „Wearables“. Es handelt sich um einen sensiblen Fitness-Tracker plus Software in Form von Apps, an deren Erstellung unter anderem Nikola Hu beteiligt war, ein ehemaliger Apple-Ingenieur.

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Dann gibt es da noch Obi Mobiles, das vom ehemaligen Apple-CEO John Sculley mitgegründet wurde. Es handelt sich um eine Budget-Smartphone-Marke, die vor allem auf Wachstumsmärkte wie Indien abzielt.

Sicher heute kein Start-up mehr, aber 1982 als solches gegründet, wurde Electronic Arts von Trip Hawkins. Dieser hatte dazu seinerzeit $200.000 Kapital aus dem Verkauf seiner Apple-Aktien genutzt. Davor war Hawkins „Director of Strategy and Marketing“ bei Apple gewesen. Hawkins gründete außerdem The 3DO Company, dessen Videospiel-Konsole der Sony PlayStation unterlag, und Digital Chocolate, einen weiteren Videospiel-Hersteller.

Flipboard ist für sehr viele Nutzer, auch einige Leser von Macnotes, zu einer Art digitalen Zeitung geworden, die man sich selbst mithilfe von RSS-Feeds zusammenstellt. Zu den Gründern von Flipboard zählt Evan Doll, der vorher iPhone-Software-Ingenieur war.

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Äußerst interessant ist außerdem, was Matt Ronge und Giovanni Donelli mit ihrem Start-up Astropad geschaffen haben. Ihre Software erlaubt die Verwendung des iPads samt Stylus als Zeichentablet für einen angeschlossenen Mac.

Ein weiteres Start-up, das von einem ehemaligen Apple-Ingenieur J.P. Labrosse gegründet wurde, ist Stirworks. Das erste Produkt war der „F1“, ein Schreibtisch, der mehrmals am Tag, App-gesteuert, seine Position verändert und so den Nutzer dazu bringt aufzustehen. Neuere Modelle wie der „M1“ arbeiten sogar mit Fitness-Trackern wie Fitbits Flex zusammen, um automatisch festzustellen, wann der Nutzer besser aufstehen sollte.

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Todd Beauchamp war einige Zeit der Chef von Apples Hardware-Sparte und gründete das Unternehmen unityHT, das sich dem Heimkino verschrieben hat, um mit seiner Technologie das Leben der Nutzer zu erleichtern und damit sie mehr Spaß daran haben. Ein Credo, das in diesem Beitrag schon einmal erwähnt wurde, und offenbar lernen also Apple-Mitarbeiter doch etwas, das ihnen später bei Firmengründungen hilft.

Francisco Tolmasky war nicht nur Software-Ingenieur bei Apple, sondern hat sich mit seinem Start-up Playground Theory der Entwicklung kreativer Videospiele verschrieben. Das erste Produkt lautet auf den Namen „Bonsai Slice“ und nutzt die Bewegungssensoren von Apples iOS-Geräten voll aus.

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Dann ist da noch Robert Pera, der vorher für Apple gearbeitet hat, dann Ubiquiti Networks gründete mit dem Ziel Wireless-Produkte für aufstrebende Märkte zu produzieren, auch um das Internet mehr Leuten zugänglich zu machen. Im Alter von 34 Jahren kaufte Pera 2012 den Basketball-Verein Memphis Grizzlies aus der NBA.

Wie schaut es mit Lyve aus, Frau Love? Eines der ersten Produkte des Start-ups des ehemaligen Apple-Ingenieurs Tom Bucher, der zudem den Designer der Apple-TV-Benutzeroberfläche, Jeff Ma, mit an Bord holte, war neben einer App ein Netzwerk-Massenspeicher (NAS) mit integriertem Touchscreen. Die Lyve Home Box kann man getrost ins Wohnzimmer stellen, weil sie sich als digitaler Bilderrahmen eignet.

Natürlich gibt es auch Ehemalige wie Carl Blake, die lieber Schweine züchten, statt das nächste Technik-Wunder zu entwerfen. Meine Reise durch ehemalige Apple-Mitarbeiter, die Start-ups gründeten, endet mit einer „einzigen“ Suche bei Google auf Seite 5 der Ergebnisseiten. Bei Julia Love hat die Recherche danach leider nie begonnen.


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